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Verteidigung

Verteidigung

Titel: Verteidigung
Autoren: John Grisham
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wären Sie auf dem richtigen Weg. Prost.«

3
    Das Telefon klingelte wieder, und diesmal entschloss sich Rochelle, den Hörer abzunehmen. »Kanzlei Finley & Figg«, meldete sie sich. Wally unterbrach die Zeitungslektüre nicht. Sie hörte einen Moment zu und sagte dann: »Es tut mir leid, aber in Immobiliensachen werden wir nicht tätig.«
    Als Rochelle vor acht Jahren in die Kanzlei gekommen war, hatte die Kanzlei noch Immobiliensachen bearbeitet. Allerdings war ihr bald klar geworden, dass dieses Gebiet des Rechts kaum Geld einbrachte und der Sekretärin eine Menge Arbeit machte, während die Anwälte fast keinen Finger rühren mussten. Rochelle lernte schnell, und sie entschied, dass sie Immobilien nicht mochte. Da sie alle eingehenden Anrufe entgegennahm, konnte sie eine Vorauswahl treffen, und es dauerte nicht lange, bis Finley & Figgs Immobilienabteilung die Mandate ausgingen. Oscar war außer sich und drohte Rochelle mit Kündigung, gab aber klein bei, als sie wieder einmal erwähnte, dass sie die Kanzlei wegen Verletzung der Anwaltspflichten verklagen wolle. Wally handelte einen Waffenstillstand aus, doch mehrere Wochen lang war die Atmosphäre in der Kanzlei noch gespannter als sonst.
    Auch andere Spezialgebiete waren ihrer gründlichen Auslese zum Opfer gefallen. Mit Strafrecht war es vorbei; Rochelle gefiel es nicht, weil ihr die Mandanten nicht gefielen. Alkoholoder Drogenmissbrauch am Steuer war in Ordnung, da es sehr häufig passierte. Solche Mandate brachten gutes Geld und verlangten nur minimale Beteiligung ihrerseits. Insolvenzen mussten aus dem gleichen Grund dran glauben wie Immobilien -magere Honorare und zu viel Arbeit für die Sekretärin. Im Laufe der Jahre war es Rochelle gelungen, die Tätigkeitsbereiche der Kanzlei drastisch zu reduzieren, was immer noch Probleme verursachte. Oscars Theorie – die ihm gut dreißig Jahre lang kein Geld eingebracht hatte – besagte, dass die Kanzlei jeden Mandanten nehmen sollte, der durch die Tür kam, dass es am besten war, ein weites Netz zu werfen und dann durch den Fang zu wühlen, in der Hoffnung, einen guten Personenschaden zu finden. Wally war anderer Meinung. Er war auf der Suche nach dem ganz großen Fall. Obwohl er wegen der Fixkosten gezwungen war, alle möglichen profanen juristischen Aufgaben zu übernehmen, träumte er immer davon, auf eine Goldgrube zu stoßen.
    »Gut gemacht«, sagte er, als Rochelle auflegte. »Immobilien konnte ich noch nie leiden.«
    Sie ignorierte ihn und widmete sich wieder ihrer Zeitung. Plötzlich begann AJ zu knurren. Er hatte sich in seinem Körbchen aufgerichtet, die Nase steil in die Höhe gereckt, den Schwanz kerzengerade und die Augen schmal vor Konzentration. Sein Knurren wurde lauter, dann, wie auf Kommando, zerriss die Sirene eines Rettungswagens die Stille des Morgens. Sirenen schafften es immer, Wally in Aufregung zu versetzen, und ein oder zwei Sekunden lang erstarrte er, während er den Ton analysierte. Polizei, Feuerwehr oder Rettungswagen? Das war immer das Wichtigste, und Wally konnte die drei auf Anhieb identifizieren. Sirenen von Löschfahrzeugen und Streifenwagen hatten nichts zu bedeuten und wurden ignoriert, doch wenn er die Sirene eines Rettungswagens hörte, schlug sein Puls schneller.
    »Rettungswagen«, sagte er. Dann legte er die Zeitung auf den Tisch, stand auf und ging wie beiläufig zur Haustür. Auch Rochelle verließ ihren Platz. Sie lief zum Fenster und verstellte die Lamellen der Jalousie, um kurz nach draußen zu sehen. AJ knurrte immer noch, und als Wally die Tür aufmachte und auf die Veranda trat, folgte ihm der Hund. Auf der anderen Straßenseite kam Vince Gholston aus seiner kleinen Boutiquekanzlei und warf einen erwartungsvollen Blick auf die Kreuzung von Beech und Thirty-eighth. Als er Wally sah, zeigte er ihm den Stinkefinger, und Wally beeilte sich, den Gruß zu erwidern.
    Der Rettungswagen fuhr mit quietschenden Reifen die Beech hinunter und zwängte sich durch den dichten Verkehr, während der Fahrer aggressiv hupte und mehr Chaos und Gefahren verursachte als der Unfall, zu dem er gerufen worden war. Wally starrte dem Rettungswagen hinterher, bis er außer Sicht war. Dann ging er wieder hinein.
    Die Zeitungslektüre wurde ohne weitere Unterbrechungen fortgesetzt – keine Sirenen, keine Anrufe von potenziellen Mandanten oder Inkassobüros. Um neun Uhr ging die Tür auf, und der Seniorpartner der Kanzlei trat ein. Oscar trug wie gewöhnlich einen langen, dunklen Mantel und
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