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Versuch über die Müdigkeit

Versuch über die Müdigkeit

Titel: Versuch über die Müdigkeit
Autoren: Peter Handke
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spielerisch erst, dem Fallengelassenwerden des Hasens, seiner neuen Flucht, seinem, noch rascheren, Gestelltwerden, im Maul des Hunds Emporgelüpftwerden, so Hin- und Hergeschleudertwerden, dem mit der Beute zwischen den Zähnen Über-das-Feld-Wegrennen des Hundes – langhinsichziehend das Hasengequiek –, Spekta-kel schließend mit dem Einzug der Kinderschar zurück in die Siedlung, der Hund emporspringend zu des Anführers aufgereckter Hand, an dieser, an den Löffeln, der Hase hängend, blutnaß, erschlaffende Pfoten, noch ein wenig zuckend, seine kleine Gestalt die vorderste in dem Zug gegen Sonnenuntergang, und hoch über den Köpfen der Kinder, im Profil zu sehen, des Hasen Gesicht, in seiner Hilflosigkeit und Verlassenheit erhaben sowohl über das eines Tiers als auch eines Menschen; – oder die Halbwüchsigen erst gestern, auf meinem Heimweg vom Schreiben beim Eukalyptushain in die Stadt: an der Steinmauer bei den Olivenfeldern, mit Ölzweigen und Schilfstöcken, unter Geschrei vor- und zurückschießend, die Steine auseinanderschiebend, und mit den Füßen stoßend, darunter, jetzt offen in der Sonne, die zusammengerollte, dicke und lange Schlange, ersteinmal außer einem Kopfrucken und dem Züngeln sich kaum bewegend – noch schwer vom Winterschlaf? –, das Stockniedersausen auf sie dann von allen Seiten, splitterndes, aber harttreffendes Schilf, in diesem Geprassel der weiterhin unter Geheul vor- und zurückschießenden Fast-Kinder (in der Erinnerung auch ich dabei), endlich das Sichaufrichten der Schlange, ganz hoch, und zugleich kläglich, nicht angriffsbereit, ja nicht einmal drohend, den Drohhals nur vorführend, als ihre angeborene Schlangengebärde, und so aufgerichtet, im Profil, mit dem verdrückten Kopf und dem Blutaustritt am Maul, auf einmal, im Moment vor dem Niedersinken nun unter den Steinwürfen, dem Hasen gleich, dritte Gestalt, wie die für einen Augenblick in der Tiefe einer Bühne erscheinende gültige, beim Aufgehen eines mit den gewohnten Tier- und Menschengestalten bemalten Vorhangs: – Doch woher in mir bei dem allen dieses Sträuben, dergleichen Schrecknisse, die nichts erzählen, vielmehr höchstens bestätigen, auch noch weiter zuerzählen, während, was jene einenden Müdigkeiten mir erzählen, in mirein wie doch natürliches Ausholen, weiter und weiter – das epische Atmen auslöst?
    Ja, aber erkennst du nicht, daß das erstere nicht bloß Schrecknisse waren, und zwar daran, wie du, obwohl du sie nur registrieren wolltest, dabei wider Willen fast ins Erzählen gerietst und dessen Zeitwörterformen, der Mitvergangenheit, am Ende allein vermiedst durch Vorsatz – durch einen Trick? Und daß, außerdem, das Ausmalen der Schrecknisse anschaulicher, oder jedenfalls suggestiver ist als die noch so friedsamen Begebenheiten deiner Epopöe der Müdigkeit?
    Ich will aber nicht suggestiv werden. Nicht überreden möchte ich – auch nicht mit Bildern –, sondern erinnern, jeden an seine höchsteigene erzählende Müdigkeit. Und deren Anschaulichkeit kommt schon noch, zum Abschluß dieses Versuchs, gleich, vielleicht – sofern ich dazu in der Zwischenzeit müde genug bin.
    Was also ist, über deine Anekdoten und Bruchstücke hinaus, das Eine, das Wesen, der letzten Müdigkeit? Wie wirkt sie sich aus? Was läßt sich mit ihr anfangen? Ermöglicht sie dem Müden ein Handeln?
    Aber sie ist doch schon selber die bestmögliche Handlung, es braucht mit ihr nicht eigens etwas anzufangen zu sein, weil sie für sich schon ein Anfangen, ein Machen – »den Anfang machen«, sagt die Umgangssprache – ist. Ihr Den-Anfang-Machen ist ein Lehren. Die Müdigkeit gibt Lehren – ist anwendbar. Ein Lehren wessen? fragst du. Früher in der Geschichte des Denkens gab es die Vorstellung von einem Ding »an sich«, inzwischen vorbei, weil das Objekt sich nie an sich zeigen könne, sondern nur im Verein mit mir. Die Müdigkeiten aber, die ich meine, erneuern mir die alte Vorstellung und machen sie dazu sinnfällig. Mehr: Sie geben, mit der Vorstellung, zugleich die Idee. Mehr: In der Idee des Dings berühre ich, gleichsam mit Händen zu fassen, ein Gesetz: So wie das Ding im Augenblick sich zeigt, so ist es nicht bloß, so soll es auch sein. Undnoch mehr: Das Ding erscheint in solch fundamentaler Müdigkeit nie nur für sich, sondern immer zusammen mit anderen, und wenn es auch nur wenige Dinge sein mögen, ist am Ende alles beieinander. »Jetzt bellt auch noch der Hund – alles da!« Und als
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