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Versteckt wie Anne Frank

Versteckt wie Anne Frank

Titel: Versteckt wie Anne Frank
Autoren: Marcel Prins , Peter Henk Steenhuis
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nach rechts. Dann gehst du den Middenweg hinunter.« Er zeigte sicherheitshalber auf meinen rechten Arm. »Nach dem Middenweg einfach immer weitergehen«, fuhr Vater fort, »immer geradeaus, bestimmt fünf Stunden lang. Wenn du das machst, siehst du die Straße, auf der du mir immer entgegengekommen bist, wenn ich von der Arbeit kam. Von dort aus findest du es schon.«
    Dann schaute er streng. »Denk daran, es dauert lange, bis du da bist, wirklich sehr, sehr lange, und du gehst erst bei Anbruch der Dämmerung los, dann ist es ruhig und sicherer. Wenn du ein Auto hörst, verlässt du die Straße schnell, bis es vorbeigefahren ist.«
    Mutter trennte an diesem Tag alle Judensterne von unserer Kleidung ab. Am Abend verabschiedeten wir uns kurz, dann ging ich los. Zum Middenweg, das war kein Problem. Nach rechts und dann immer geradeaus. Ich ging zügig.
    Nach einer halben Stunde war ich mir nicht mehr so sicher. Ging ich in die richtige Richtung? Der Weg war endlos, und meine Tasche mit dem Proviant wurde mit jedem Schritt schwerer. Irgendwann aß ich etwas, und ich glaube, ich schlief auch kurz ein.
    Es war mittlerweile stockdunkel. Ich versuchte den Mut nicht sinken zu lassen und führte laute Selbstgespräche. Ich muss irgendwann in Bussum angekommen sein, keine Ahnung, wie. Ich weiß nur, dass ich noch nie so müde gewesen bin.
    Tante Toni und Onkel Jo wohnten in einem großen schicken Haus. Sie waren noch genau so, wie ich sie in Erinnerung hatte: Tante Toni lieb und Onkel Jo kahl. Er rauchte Zigarren und trug eine Brille mit einem kräftigen, dunklen Gestell. Die beiden vermieteten Zimmer, und ich wurde daher gleich nach meiner Ankunft einigen Mietern vorgestellt: Tante Job, einer grauhaarigen, freundlichen Frau, und Tante Moeke, die weniger grau, aber auch freundlich war. Und einem gruseligen Mann mit rotem Bart.
    Danach ging ich mit Tante Toni auf den Dachboden, wo ich schlafen würde. »Wenn du nicht schlafen kannst, kommst du einfach nach unten.«
    Als sie mich am nächsten Tag weckte, sah ich, dass ich in einem hübschen Zimmer mit schrägen Wänden geschlafen hatte. Nur der untere Teil der Wände war gerade. Hinter einem Vorhang hingen Kleider.
    »Das ist ein Gästezimmer«, meinte Tante Toni, »aber jetzt ist es dein Zimmer.«
    Sie öffnete den Vorhang und schob die Kleider zur Seite. »Vielleicht musst du dich in Zukunft mal vor den Deutschen verstecken.« In der Wand, fast unsichtbar, befand sich eine Holzplatte. Sie nahm sie weg. »Hier hast du eine Taschenlampe, sieh dich nur da drinnen um.«
    Auf dem Boden lag eine Matratze mit ein paar Decken. Ein weißer Nachttopf mit blauem Rand stand dort auch. »Du darfst niemandem von diesem Versteck erzählen. Und du darfst nur hier rein, wenn Onkel Jo und ich es sagen.«
    Onkel Jo, der bei der Zeitung arbeitete, verließ das Haus jeden Morgen recht früh. Wenn er nach draußen ging, trug er seine dünne Aktentasche so unter dem Arm, dass der Judenstern nicht sichtbar war. Weil er eine Mischehe führte, war Onkel Jo damals noch nicht zum Umzug nach Amsterdam gezwungen worden.
    Eines Tages rief Onkel Jo mich zu sich. »Überraschung!« Er ging zur Garage. Da stand Tante Toni neben einem nagelneuen Kaninchenstall mit zwei winzigen Kaninchen. »Du musst gut für sie sorgen«, sagte Tante Toni ernst. »Du musst ihnen Futter und Wasser geben und das Stroh einmal pro Woche austauschen. Und jeden Tag die Kötel wegmachen.«
    Es war eine ziemlich unangenehme Arbeit. Und je größer die Kaninchen wurden, desto größer auch die Kötel. Dann fing eines der Kaninchen an, sich die Brusthaare auszurupfen. Büschelweise! »Das machen Kaninchenweibchen, wenn sie erwachsen werden«, beruhigte mich Onkel Jo. »Dann wollen sie ein Nest bauen.«
    Kurze Zeit später lagen fünf kleine Tierchen im Nest. Aus den hässlichen Dingern wurden schnell süße Mini-Kaninchen. Drei neue Käfige mussten gebaut werden, viel Arbeit wartete auf mich.
    Ich hatte ein Lieblingskaninchen, Sijbeltje. Ihre Mutter hatte sie aus dem Nest gestoßen. Onkel Jo bohrte ein Loch in den Korken einer kleinen Glasflasche und steckte einen dünnen Plastikschlauch hindurch. So hatten wir eine Saugflasche. Sijbeltje wuchs gut, genau wie ihre Geschwister.
    Weitere Nester wurden gebaut, und wieder mussten neue Kaninchenkäfige hinzukommen. Plötzlich hatte ich dreiundzwanzig erwachsene Kaninchen in zehn Käfigen! Und Sijbeltje natürlich. Sie war wirklich mein Kaninchen. Ich liebte sie heiß und innig und sie
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