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Verschwörung in Florenz

Verschwörung in Florenz

Titel: Verschwörung in Florenz
Autoren: Franziska Wulf
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sie machten sich an die Arbeit. Sie wogen Pulver, Blätter und Kristalle, maßen Flüssigkeiten tropfen- und löffelweise ab, zerstampften Muschelschalen im Mörser zu einem Pulver, feiner als das feinste Mehl. Als endlich der Kupferkessel über dem Kohlenfeuer hing, waren beide völlig erschöpft. Ihre Arme und Hände schmerzten von dem ungewohnten Gebrauch des schweren eisernen Stößels, und jeder von ihnen dachte das Gleiche – hoffentlich haben wir bei der Entschlüsselung des Textes keinen Fehler gemacht. Hoffentlich haben wir uns bei den Mengenangaben nicht verrechnet. Hoffentlich haben wir wirklich so genau gewogen und gemessen, wie erforderlich. Hoffentlich klappt alles.
    Unermüdlich rührte Giacomo in dem Kessel. Das Elixier war noch weit davon entfernt, eine »klare, dem Auge wohlgefällige tiefrote Farbe« anzunehmen. Tatsächlich war es eher eine trübe dunkelbraune Brühe, die nicht nur ziemlich dickflüssig war, sondern außerdem noch abscheulich stank. Nervös trat Cosimo von einem Bein auf das andere. Der Kessel hing nun schon ziemlich lange über dem Feuer. Bald würde die Sonne aufgehen. Bald würde Luciano kommen und sie auffordern, sein Laboratorium zu verlassen. Wenn bis dahin nicht …
    »Cosimo!«, rief Giacomo aufgeregt. »Sieh nur. Ich glaube, es ist gleich so weit.«
    Sie beugten sich über den Kessel. Die Flüssigkeit begann allmählich zu brodeln. Zitternd vor Anspannung sahen sie zu, wie von einem Augenblick zum nächsten aus der trüben, dicken, stinkenden Suppe eine klare Flüssigkeit wurde, deren schöne tiefrote Farbe an kostbaren Rotwein erinnerte. Und gleichzeitig erfüllte der köstliche Duft von Mandeln und Veilchen das kleine Laboratorium.
    »Es ist so weit«, stimmte Cosimo zu. »Nimm den Kessel vom Feuer.«
    Sie streuten noch die geforderte Prise Salz hinein und warteten. Die Zeit, bis die Flüssigkeit endlich erkaltet war, wurde ihnen unendlich lang. Mit zitternden Händen gossen sie die angegebene Menge Rotwein hinzu. Und dann war das Elixier fertig. Ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten, füllten sie es in Phiolen ab. Cosimo hob eine der kleinen zarten Glasflaschen hoch und hielt sie gegen das Licht der Öllampe. Die rote Flüssigkeit schimmerte wie ein kostbares Juwel.
    »Wollen wir jetzt …«
    »Natürlich«, antwortete Cosimo ohne nachzudenken. »Wir werden es sofort ausprobieren.«
    »Kannst du dir vorstellen, dass wir in wenigen Augenblicken in einer anderen Zeit sein werden?«, fragte Giacomo und hielt seine Phiole gegen das Licht der Lampe. »Wenn das Elixier tatsächlich die versprochene Wirkung hat, wohin würdest du reisen wollen?«
    Cosimo zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Allerdings würde ich gern einmal Dante Alighieri persönlich begegnen. Vielleicht sogar ein paar Worte mit ihm reden. Und du?«
    »Ich möchte meinen Stiefvater zu einer Zeit besuchen, als er selbst noch ein Knabe war.«
    »Tatsächlich?« Cosimo war überrascht. Da hatten sie die Möglichkeit, allen wahrhaft großen Männern zu begegnen, die im Laufe der Geschichte der Menschheit Bedeutung erlangt hatten. Er konnte Virgil, Homer, Julius Cäsar, ja, vielleicht sogar dem Herrn Jesus Christus persönlich gegenüberstehen, und wen wünschte Giacomo in der Vergangenheit zu treffen? Seinen Stiefvater, der ihn bereits im täglichen Leben eher zu oft als zu selten mit seiner Gesellschaft beehrte. »Warum denn das?«
    Giacomo zuckte mit den Schultern. »Nur so. Vielleicht um ›die Wurzeln aller Dinge‹ zu ergründen.«
    Cosimo schüttelte verständnislos den Kopf. Nun, jeder Mensch hatte eigene Interessen, eigene Vorlieben. Auch Giacomo.
    »Wenn das Elixier überhaupt diese Wirkung hat«, fügte Giacomo düster hinzu. »Möglicherweise wachsen uns auch nur die Haare davon oder wir werden in eine abscheuliche Gestalt verwandelt.«
    »Deshalb sollten wir die Wirkung auch nicht gleichzeitig probieren«, schlug Cosimo vor, der des Redens allmählich müde wurde und endlich zur Tat schreiten wollte, »sondern einer nach dem anderen, damit wir beide sehen, was geschieht. Wenn du nichts dagegen hast, werde ich zuerst von dem Elixier kosten. Und wenn ich wieder zurück bin, werde ich dir alles erzählen.«
    Giacomo war einverstanden.
    Cosimo nahm den gläsernen Verschluss von der Phiole und träufelte sich etwas von der Flüssigkeit auf den Zeigefinger. Er betrachtete seine Fingerspitze. Der winzige Tropfen sah aus wie Blut, wie frisches dunkelrotes Blut, so als hätte er sich gerade
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