Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verschollen

Verschollen

Titel: Verschollen
Autoren: Jörg Benne
Vom Netzwerk:
Geburtstag bekommen hatte. Er war so enttäuscht gewesen, endlich kam Papa und er lag krank im Bett. Doch am nächsten Morgen war er gesund gewesen. Konnte das wirklich … »Ist das wahr, Mama?«, flüsterte er.
    Sie nickte. »Ich hab es erst auch nicht geglaubt, als er es mir erzählt hat. Aber er konnte es beweisen. Er hat Blumen wieder blühen lassen, meinen Schnupfen kuriert und so viel mehr. Vielleicht könnte er auch Svenja retten.«
    »Dann fahr mich wieder zum Büro«, forderte Tristan sofort.
    »Bist du verrückt?«, herrschte sie ihn an. »Hast du es nicht gelesen? Die Paladine haben dort übermenschliche Kräfte, und doch sind sie alle verschwunden. Papa ist fort, Svenja im Koma, ich …« Ihre Stimme brach und sie hauchte nur noch. »Ich will dich nicht auch noch verlieren.«
     
    Tags darauf saß Tristan zuhause am Fenster und stierte dumpf nach draußen. Genau so hatte er da gesessen und sich geärgert, als Papa nicht zu dem Fußballspiel gekommen war, erinnerte er sich. Wie albern und dumm ihm das nun vorkam. Tristan war schuld, dass Svenja im Koma lag, vielleicht nie wieder aufwachte, oder wenn doch – was ihm noch schlimmer erschien – mit bleibenden Schäden, behindert, geistig verwirrt weiterleben musste. Nur wegen ihm. Und nun war da diese vage Hoffnung. Wenn er in das fremde Land ginge und seinen Vater fände oder irgendeinen der anderen Paladine … Aber wie sollte er das anstellen? Und lebten sie überhaupt noch? War Papa tot? Der Gedanke schnürte ihm die Eingeweide zusammen.
    Mama war wieder bei Svenja im Krankenhaus, Tristan sollte zuhause bleiben und sich noch ausruhen. Nächste Woche sollte er wieder zur Schule gehen, auch wenn die Sommerferien kurz danach beginnen würden und in dem Brief von der Schule angeboten worden war, ihn wegen der besonderen Belastung bis dahin freizustellen. Aber seine Gedanken kreisten unaufhörlich um diese fremde Welt, um die Lügen seiner Eltern. Ob sie es mir je gesagt hätten, fragte er sich. Und hatte Svenja etwas gewusst? Haben sie es nur mir verheimlicht? Er vertrieb diesen bitteren Gedanken und setzte sich vor den Fernseher, um sich abzulenken.
    Als Mama nach Hause kam, war er in einen Film vertieft und grüßte sie nur beiläufig, doch kurz darauf hörte er sie in der Küche schluchzen. Sie weinte heftig und Tristan fühlte wieder Angst. War Svenja …? Er eilte zu ihr. »Was ist, Mama? Ist etwas mit Svenja?«
    Kurz versuchte sie sich zu beherrschen, wandte ihm den Rücken zu, um ihre Tränen zu verbergen, doch dann schüttelte sie ein neuerlicher Weinkrampf. Tristan legte den Arm um sie. »Mama, bitte, sag, was los ist.«
    »Eine Woche«, schluchzte sie. »Der Chefarzt … Er meinte, wenn sie in der nächsten Woche nicht aufwacht, dann …«
    »Dann, was?«
    »Dann sollte man … sollte man in Erwägung ziehen … die Maschinen … abzuschalten.«
    »Das hat er dir gesagt?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Es war Visite, als ich kam. Sie haben mich nicht bemerkt, als sie miteinander über Svenja sprachen.«
    Eine Woche. Es war wie ein Countdown, den man gestartet hatte und die Zeit verrann nun wie Sand zwischen ihren Fingern. Sein Herz schlug heftig, er atmete zitternd, er wusste, was er sagen musste. Doch der Mut verließ ihn mit jeder Sekunde, die er zögerte. Er ballte die Hände zu Fäusten. Es war meine Schuld, rief er sich in Erinnerung und damit kämpfte er den Feigling in sich nieder. Mit bebender und doch deutlicher Stimme forderte er: »Bring mich ins Büro, Mama.«
    »Aber …«
    »Sofort.« Nun war seine Stimme fest, er war entschlossen. »Ich werde Papa finden, er kann Svenja retten. Ich muss es versuchen.«
    Sie öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen, doch dann nickte sie nur und zog ihn in ihre Arme.
     
    Wenig später standen sie wieder an der Bürotür. Mama gab ihm den Schlüssel. »Ich werde lieber nicht mit hineinkommen, sonst versuche ich doch noch, es dir auszureden.« Sie umarmte ihn. »Du bist ein tapferer Junge. Ich bin stolz, dass du das auf dich nimmst.«
    Tristan blickte verlegen zu Boden, allzu tapfer kam er sich im Moment nicht vor. Er hatte Angst. »Was erwartet mich dort?«, fragte er leise.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete seine Mutter mit zitternder Stimme. »Dein Vater hat nicht oft …«
    »Hat Svenja davon gewusst?«, unterbrach Tristan sie plötzlich.
    Mama schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Ihr solltet es erfahren, wenn ihr 18 seid.« Sie machte eine Pause und setzte dann an: »Tristan, du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher