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Verschärftes Verhör

Verschärftes Verhör

Titel: Verschärftes Verhör
Autoren: Jenny Siler
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erfüllt von Duft des Frühstücks. Es roch nach heißem Fett und Honig und Beghir -Pfannkuchen auf dem Grill. Falls Morrow eine Abmachung mit den MEK getroffen hatte, sollte dies ganz sicher nicht bekannt werden. Nicht einmal die Angehörigen der Dissidentengruppe durften davon wissen. Wenn Harrys Annahme stimmte, hatte auch Bagheris Reisegefährte nichts von dessen Verbindung zu den Amerikanern gewusst.
    Falls nun das SBS-Team Bagheri bei einer Razzia versehentlich mitgenommen hatte, wäre es undenkbar gewesen, ihn freizulassen, ohne Verdacht zu erregen. Außer natürlich, seine Kameraden hätten gar nicht erst erfahren, dass man ihn gefangengenommen hatte. Dies würde den Tod seines Begleiters erklären wie auch die Tatsache, dass die Armee seine Flucht zunächst nicht offiziell gemeldet hatte.
    »Wo entlang?«
    Kats Frage riss Harry aus seinen Gedankenspielen. Er blieb stehen und schaute nach oben. Unmittelbar vor ihnen mündete das Tor der Medina in die Hauptverkehrsstraße, die als breite Achse bis zur Place des Nations Unies verlief. Harry schaute durch das Tor auf den Boulevard, auf dem sich der Verkehr staute, und es war, als schaute man geradewegs vom vierzehnten ins einundzwanzigste Jahrhundert. Der ungeheure Kontrast ließ ihn innehalten.
    Ein junger Marokkaner näherte sich und bot sich als Fremdenführer an.
    Kat beschied ihn mit einer herrischen Bemerkung auf Arabisch und wandte sich wieder an Harry. »So schnell gibt er nicht auf«, sagte sie, als der Mann ein anderes, westlich gekleidetes Paar ansprach. »Wir sollten gehen, bevor er es sich anders überlegt und zurückkommt.«
    Harry nickte. »Das haben Sie aber nicht in der Armee gelernt«, sagte er und ging zu einem Taxistand neben dem Tor.
    »Wie man solche Leute loswird?«
    »Nein, Ihr Arabisch.«
    »Ich war am DLI«
    Harry winkte dem ersten Fahrer, der zustimmend nickte. »Aber Sie müssen es regelmäßig sprechen. Arabisch rostet schnell ein.« Er hielt ihr die Tür auf.
    Vielleicht lag es an dieser Geste altmodischer Höflichkeit, dass Harry plötzlich von einer ungeheuren Sentimentalität und Scham überfallen wurde. Auf einmal begriff er, wie viel er verloren und wie sehr er sein Leben verwirkt hatte.
    »Ich unterrichte«, sagte Kat, als Harry neben ihr auf dem Rücksitz Platz nahm.
    »Voyageurs«, wies Harry den Fahrer an, womit er den Hauptbahnhof im Osten der Stadt meinte. »Sprachen?«
    »Ja. Und Theologie.«
    »Islamische?«
    Kat nickte. »Mein Fachgebiet ist die Soteriologie, das heißt –«
    »Die Theologie der Erlösung.« Der alte Spion lächelte. »Wir vom Geheimdienst sind auch nicht völlig ungebildet.«
    Kat erwiderte das Lächeln.
    Sie fuhren eine Weile schweigend. An der Küste tauchte die gewaltige Silhouette der Hassan-II.-Moschee auf.
    »Und, glauben Sie an all das?«, fragte Harry schließlich.
    »An was?«
    »Ach, Sie wissen schon: ein Dschinn auf jeder Schulter; dass am Ende aller Tage gute und böse Werke gegeneinander aufgerechnet werden; dass das Leben nur eine Prüfung für den Himmel ist.«
    Kat lachte. »Ganz so einfach ist es nicht. Nein, ich glaube nicht an die muslimische Auffassung vom Jenseits. An die christliche übrigens auch nicht. Wenn es einen Gott gibt, muss ich glauben, dass alle erlöst werden.«
    »Und wenn es keinen gibt?«
    Kat schüttelte den Kopf. »Dann gibt es eben keinen, und alles andere ist unwichtig.«
     
    Zwanzig Jahre, dachte Harry, als sie am Bahnhof vorbeifuhren und in eine Seitenstraße bogen. Nein, eher fünfundzwanzig. Zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dass seine alten Freunde vielleicht nicht mehr am Leben sein könnten, und er verspürte eine leise Panik. Dann tauchte das vertraute Geschäft auf, das alte Schild, an dem Zeit und Witterung genagt hatten: M. RAFA, DRUCKEREI.
    »Hier?«, erkundigte sich der Fahrer und hielt am Straßenrand. Selbst er wirkte zögerlich.
    »Ja.« Harry fischte ein Bündel zerknitterter Dirham-Scheine aus der Hosentasche, bezahlte und stieg aus. »Sprechen Sie noch andere Sprachen außer Arabisch?«, fragte er auf dem Weg zur Ladentür.
    »Ich habe Schulkenntnisse in Spanisch und spreche das grauenhafteste Paschtunisch, dass Sie jemals gehört haben. Wieso?«
    »Ich dachte nur an Ihren Pass.« Harry öffnete die Tür, worauf eine Reihe Glöckchen erklang.
    Aus einem Hinterzimmer trat ein Marokkaner mittleren Alters, der eine tintenverschmierte Schürze trug. Er war klein und rundlich, aber mit kraftvollen, muskulösen Armen. Sein graues Haar war sehr
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