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Verschärftes Verhör

Verschärftes Verhör

Titel: Verschärftes Verhör
Autoren: Jenny Siler
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Das hätte sie nicht überrascht. Bei den improvisierten Begräbnissen in Kandahar und Bagram hatte sie mehr als einen knallharten Soldaten der Spezialkräfte zusammenbrechen sehen.
    »Es gibt eine Trauerfeier«, sagte er schließlich. »Ich nehme an, seine Eltern kümmern sich darum. Ich kann dir Bescheid sagen …«
    »Ja«, erwiderte Kat. Sie war dankbar, dass sie sich auf etwas Konkretes konzentrieren konnte, das übliche Verhalten in einem Trauerfall. »Selbstverständlich.«
    »Es tut mir leid«, wiederholte er. »Es tut mir so leid.«
    Mehr gab es nicht zu sagen.
     
    Es war im Frühjahr 2002. Das Lager Guantánamo war gerade eröffnet worden, und wie erhofft, ging der Einsatz in Kandahar zu Ende. Nach vier unmenschlichen Monaten auf dem Stützpunkt im Süden, wo sie Fässer als Toiletten benutzt und von Einmannpackungen und Staub gelebt hatten, waren Kat und die anderen Verhörspezialisten überglücklich, als man die umgehende Verlegung in den Norden nach Bagram ankündigte.
    Kat gehörte zu den Letzten, die gingen, und würde als eine von wenigen in Afghanistan bleiben. »Das hat man nun vom Teilzeitdienst«, hatte ein Mitreservist geklagt, als die Order hereinkam. »Jetzt hocken wir hier rund um die Uhr.« Wenigstens nicht der Irak, hatte Kat gedacht.
    Ihr standen vier Tage Urlaub zu, und sie hatte sich entschieden, nach Oman zu fliegen, bevor sie nach Bagram ging. Kandahar war zur Geisterstadt geworden und sie die einzige Passagierin in der C-130, die sie nach Norden auf den Luftwaffenstützpunkt K-2 brachte.
    »Ich wette, Sie sind noch nie in einem Privatjet geflogen«, bemerkte der Luftwaffensoldat, als er ihre Ausrüstung für den Flug sicherte. Ein gerissen grinsender Texaner mit Segelohren, der an Alfred E. Neumann aus den MAD-Heften erinnerte und jünger aussah, als er war. »Heute kommt die Milchlieferung. Wir müssen in Bagram zwischenlanden und Vorräte abliefern.« Er kniff ihr ein Auge. »Da können Sie sich schon mal Ihre neue gute Stube anschauen.«
    Seit Wochen sickerten Gerüchte über einen wahrhaften Club Med in der Wüste nach Süden durch. Warme Duschen und richtige Mahlzeiten. Usbekisches Bier und Sonnenbäder auf dem Dach des Verhörgebäudes. Doch als die C-130 schließlich zum Landeanflug ansetzte und über das zerklüftete Gebiet strich, erhaschte Kat einen Blick auf die wuchernde Metropole des Krieges.
    Splitterschutzwände aus Lehm zweigten vom Flugplatz ab wie Sackgassen in einer Vorstadt; riesige Bunker waren in die steinige, aufgewühlte Erde gegraben. Eine düstere Ansammlung von Zelten säumte die Hauptlandebahn, dahinter lagen improvisierte Militärgebäude und die größeren Bauten aus der Sowjetzeit, errichtet auf zweitausend Jahren Blutvergießen und Niederlage.
    Als das Flugzeug auf der Landebahn hielt, tauchte eine Gruppe rauer Soldaten wie aus dem Nichts auf und kletterte die gewaltige Laderampe herauf. Wie die meisten Angehörigen der Spezialkräfte, denen Kat in Afghanistan begegnet war, trugen auch sie keine regulären Uniformen. Ihre Kleidung war eine improvisierte Mischung aus afghanischer Tracht und westlicher Militärkluft. Pilzartige Pakols und knielange Kaftane in Verbindung mit Tarnmustern. Die Gesichter der Männer waren ledrig und braun, die Bärte lang und ungepflegt.
    Als Kat die M16-Gewehre sah, hielt sie sie zuerst für Amerikaner. Dann begrüßte der Doppelgänger von Alfred E. Neumann die Männer, worauf einer eine Lasche am Jackenärmel aufklappte und den Union Jack zeigte.
    Er bittet nicht um Erlaubnis, hatte sie gedacht. Schon früh hatte sie verstanden, dass solche Männer in diesem seltsamen Land nicht um Erlaubnis bitten mussten. In einer Welt, in der man die Unterschrift eines leitenden Offiziers benötigte, um frische Socken zu beantragen, konnten sie in ein Flugzeug springen, ohne eine einzige Frage zu beantworten.
    Während des Weiterflugs achtete Kat nicht auf die Soldaten. Das Donnern der Motoren machte ein Gespräch unmöglich, und die meisten Männer nutzten die Gelegenheit, um zu schlafen. Erst als die Maschine zum Landeanflug auf K-2 ansetzte, bemerkte sie, dass ein Mann sie beobachtete.
    Es war Colin.

6
London
    David Kurtz bog von der Whitechapel Road in die Brick Lane und fuhr nach Norden. Das Sprachengewirr flutete an sein Ohr. Das Freitagsgebet in der Jamme Masjid, der großen Moschee, war soeben zu Ende gegangen, und auf den Straßen herrschte das Arabische vor, dazu die übliche Mischung aus Bengali, Urdu und Hindi, durchsetzt
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