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Verrat in Paris

Verrat in Paris

Titel: Verrat in Paris
Autoren: Tess Gerritsen
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ein paar Zentimeter zu bewegen. Sie musste einen Moment Pause machen und rang um Atem, während sie darauf wartete, dass der Schmerz in ihrem Bein nachließ. Mit zusammengebissenen Zähnen gelang es ihr, sich ein Stück weiter zu schieben. War das der Fahrersitz? In der Dunkelheit und in dem Durcheinander konnte sie nichts erkennen. Sie war völlig orientierungslos.
    Trotzdem nahm sie den Benzingeruch wahr, der von Sekunde zu Sekunde intensiver wurde. Ich muss zum Fenster und mich irgendwie rausquetschen, bevor das Auto explodiert. Blind tastete sie ihre Umgebung ab und fühlte plötzlich etwas Warmes. Und Feuchtes. Sie drehte den Kopf und sah Helenas Leiche.
    Beryl fing an zu schreien. Jetzt hatte sie es noch eiliger, aus dem Wagen zu kommen, diesen leblosen Augen zu entkommen. Sie robbte zum Fenster. Ein erneuter Schmerz, noch heftiger als der erste, durchfuhr ihr Bein. Ihr stiegen die Tränen hoch. Endlich bekam sie die Fensteröffnung zu fassen, ertastete Glassplitter und dann … einen Ast! Gleich habe ich ’s geschafft. Gleich.
    Halb kletterte sie, halb robbte sie vorwärts, dann quetschte sie sich durch die Fensteröffnung. Kaum lag ihr Körper auf der Erde, gab der Boden unter ihr nach, und sie rutschte eine grasbewachsene Böschung hinunter. Sie landete in einem Graben, nahe bei ein paar Bäumen.
    Plötzlich erhellte ein Lichtblitz den Himmel. Mit
    schmerzverzerrtem Blick sah sie die ersten Flammen auflodern.
    Wenige Sekunden später hörte sie Glas bersten und dann einen fürchterlichen Knall, als die Flammen den Wagen verschlangen.
    Warum, Helena? Warum? Die Flammen zuckten, dann wurde 247
    es plötzlich dunkel um sie herum. Sie schloss die Augen und lag zitternd im Laub.

    Fünf Kilometer vom Haus der Vanes entfernt entdeckten sie das Feuer. Es war ein brennendes Auto, das sich offensichtlich überschlagen hatte. Ein Mercedes.
    »Das ist Helenas Wagen«, rief Richard. »Mein Gott, das ist Helenas Wagen!« Er sprang aus dem Auto und rannte auf den brennenden Mercedes zu. Beinahe stolperte er über einen Schuh, der auf der Fahrbahn lag. Zu seinem Schrecken war es ein Pump. » Beryl! «schrie er. Gerade wollte er sich verzweifelt auf die Wagentür stürzen, als die Flammen höher schlugen. Eine Fensterscheibe explodierte, Glas flog auf die Straße. Die kochende Hitze ließ ihn zurückweichen, er nahm den Geruch seiner eigenen verkohlten Haare wahr. Er versuchte, das Gleichgewicht zu halten, und wollte sich gerade in die Flammen stürzen, als Jordan ihn am Arm festhielt.
    »Warte!« schrie Jordan.
    Richard machte sich los. »Ich muss sie da rausholen!«
    »Hör doch mal!«
    Und jetzt hörte auch er es – ein leises Stöhnen, kaum wahrnehmbar. Es kam nicht aus dem Wagen, sondern irgendwo aus Richtung der Bäume.
    Sofort rannten er und Jordan ins Gebüsch. Sie riefen Beryls Namen. Wieder hörte Richard das Stöhnen, jetzt näher, irgendwo unterhalb der Straße. Er stieg die Böschung hinab und landete in einem Abwassergraben.
    Und da fand er sie, da lag sie im Laub. Sie war kaum bei Bewusstsein.
    Er hob sie hoch und erschrak, wie schlaff und kalt ihr Körper sich anfühlte. Sie hat einen Schock, stellte er fest. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit …
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    »Sie muss sofort ins Krankenhaus!« rief er. Mit festen Schritten trug er sie zum Wagen.
    Jordan rannte voraus und riss die Wagentür auf. Richard schlüpfte mit Beryl auf dem Arm auf die Rückbank.
    »Fahr los!« forderte er ihn auf.
    »Festhalten«, sagte Jordan, als er auf den Fahrersitz kletterte.
    »Das wird eine wilde Fahrt.«
    Mit quietschenden Reifen schoss der Wagen davon. Bleib bei mir, Beryl, flehte Richard lautlos den Körper in seinen Armen an. Bitte, Liebling. Bleib bei mir …
    Doch als der Wagen durch die Dunkelheit jagte, schien sie in seinem Arm immer kälter zu werden.
    Durch den Schleier der Narkose hörte sie ihn ihren Namen sagen, aber seine Stimme schien so unendlich weit weg, an einem weit entfernten Ort, den sie nicht erreichen konnte. Dann spürte sie seine Hand auf ihrer und wusste, dass er bei ihr war.
    Sie konnte sein Gesicht nicht sehen; sie hatte nicht die Kraft, ihre Augen zu öffnen. Aber sie wusste trotzdem, dass er da war
    – und dass er noch da sein würde, wenn sie am nächsten Tag aufwachte.
    Doch es war Jordan, der am nächsten Morgen an ihrem Bett saß. Die späte Vormittagssonne schien auf seine hellen Haare, ein in Leder eingeschlagener Gedichtband lag in seinem Schoß.
    Er las Milton. Mein lieber Jordan, dachte sie.
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