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Verrat in Paris

Verrat in Paris

Titel: Verrat in Paris
Autoren: Tess Gerritsen
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Reifen schoss der Wagen davon. Bleib bei mir, Beryl, flehte Richard lautlos den Körper in seinen Armen an. Bitte, Liebling. Bleib bei mir …
    Doch als der Wagen durch die Dunkelheit jagte, schien sie in seinem Arm immer kälter zu werden.
    Durch den Schleier der Narkose hörte sie ihn ihren Namen sagen, aber seine Stimme schien so unendlich weit weg, an einem weit entfernten Ort, den sie nicht erreichen konnte. Dann spürte sie seine Hand auf ihrer und wusste, dass er bei ihr war. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen; sie hatte nicht die Kraft, ihre Augen zu öffnen. Aber sie wusste trotzdem, dass er da war – und dass er noch da sein würde, wenn sie am nächsten Tag aufwachte.
    Doch es war Jordan, der am nächsten Morgen an ihrem Bett saß. Die späte Vormittagssonne schien auf seine hellen Haare, ein in Leder eingeschlagener Gedichtband lag in seinem Schoß. Er las Milton. Mein lieber Jordan, dachte sie. Auf ihn kann man sich verlassen, und immer ist er so ausgeglichen. Wenn ich bloß auch diese innere Ruhe hätte!
    Jordan sah von seiner Lektüre auf und bemerkte, dass sie wach war. »Schön, dass du wieder bei uns bist, Schwesterlein«, sagte er mit einem Lächeln.
    Sie stöhnte. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich da wieder sein will.«
    »Was macht das Bein?«
    »Es bringt mich um.«
    Er griff nach der Klingel. »Zeit, sich eine Dosis Morphium zu gönnen.«
    Aber auch Wunder brauchen Zeit. Nachdem die Schwester ihr eine Injektion gegeben hatte, schloss Beryl die Augen und wartete darauf, dass der Schmerz nachließe und selige Taubheit über sie herabsänke.
    »Ist es schon besser?« fragte Jordan.
    »Noch nicht.« Sie holte tief Luft. »Ich hasse es, krank zu sein. Sprich mit mir. Bitte.«
    »Worüber?«
    Richard, dachte sie. Bitte sprich mit mir über Richard. Warum er nicht hier ist. Warum nicht er auf diesem Stuhl sitzt …
    Jordan sagte leise: »Er war hier. Heute Morgen. Aber dann rief Daumier an.«
    Sie lag still da und sagte kein Wort. Sie wollte mehr hören.
    »Er macht sich Sorgen um dich, Beryl. Ganz sicher.« Jordan klappte sein Buch zu und legte es auf den Nachttisch. »Er scheint wirklich ein netter Kerl zu sein. Und ziemlich fähig.«
    »Fähig«, murmelte sie. »Ja, das stimmt.«
    »Er ist nicht einfach abgehauen. Er hat sich um dich gekümmert.«
    »Aus reiner Gefälligkeit«, erinnerte sie ihn. »Onkel Hugh gegenüber.«
    Er antwortete ihr nicht. Offenbar hatte auch Jordie seine Zweifel daran, ob sie beide zusammenpassten. Genau wie sie. Die hatte sie von Anfang an gehabt.
    Das Morphium begann endlich zu wirken. Sie merkte, wie sie langsam in den Schlaf driftete. Nur beiläufig nahm sie noch wahr, dass Richard das Zimmer betrat und leise mit Jordan sprach. Sie flüsterten irgendwas von Helena und dass ihr Körper bis zur Unkenntlichkeit verbrannt war. Als das Medikament schon langsam ihr Gehirn benebelte, stieg plötzlich eine grässliche Erinnerung in ihr auf – Flammen, die das Auto verschlangen, die Helena verschlangen.
    Das war Helenas Strafe dafür, dass sie zu sehr geliebt hatte. Sie spürte, dass Richard ihre Hand nahm und sie küsste. Und welche Strafe stand ihr bevor?

Epilog
    Buckinghamshire, England
Sechs Wochen später
    F roggie war unruhig, sie stampfte im Stall und wieherte, denn sie wollte raus.
    »Sieh dir die Arme an«, sagte Beryl und seufzte. »Sie wurde in letzter Zeit viel zu selten bewegt, ich glaube, das macht sie ganz verrückt. Du musst sie für mich reiten.«
    »Ich? Ich soll mich auf den Rücken dieses … wild gewordenen Viehs schwingen?« schnaubte Jordan. »Mir liegt eigentlich recht viel an meinem Hals.«
    Beryl humpelte auf ihren Krücken hinüber zum Stall. Sofort streckte Froggie den Kopf zur Tür heraus und stupste sie mit einem »Ich will raus«-Blick an. »Komm, sie ist so brav!«
    »So brav und unberechenbar.«
    »Sie braucht mal wieder einen größeren Ausritt.«
    Jordan sah seine Schwester an, wie sie unsicher auf ihrem Gipsbein und den Krücken balancierte. Sie kam ihm blass und ausgelaugt vor, als ob die lange Zeit im Krankenhaus ihr sämtliche Energie geraubt hätte. Es war normal, dass sie nach dem massiven Blutverlust und der Operation ihres Oberschenkelbruchs zunächst sehr mitgenommen gewirkt hatte. Doch inzwischen war der Bruch gut verheilt, der Schmerz nur noch Erinnerung. Und trotzdem schien sie nur noch ein Schatten ihrer selbst zu sein.
    Es war Richard Wolfs Schuld.
    Immerhin war der Typ so anständig gewesen, sich nicht schon während ihres
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