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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis
Autoren: Jared Diamond
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entwickelten sich in den folgenden Jahrtausenden in China, Mexiko, den Anden, Madagaskar und anderen Regionen; heute zeigt die Weltkarte, dass sämtliche Landflächen unseres Planeten mit Ausnahme der Antarktis in Staaten aufgeteilt sind. Und selbst die Antarktis ist Gegenstand einander teilweise überschneidender Territorialansprüche von sieben Staaten.

Typen traditioneller Gesellschaften
    Vor 3400  v.Chr. gab es also nirgendwo Staaten, und auch in jüngerer Zeit entzogen sich noch große Gebiete der staatlichen Kontrolle, weil sie unter einfacheren, traditionellen politischen Systemen funktionierten. Die Unterschiede zwischen diesen traditionellen Gesellschaften und den Staatsgesellschaften, die uns heute vertraut sind, bilden das Thema dieses Buches. Wie sollen wir die traditionellen Gesellschaften als solche klassifizieren und über ihre Vielfalt sprechen?
    Zwar ist jede menschliche Gesellschaft einzigartig, es gibt aber auch kulturübergreifende Gesetzmäßigkeiten, die einige allgemeine Aussagen ermöglichen. Zusammenhängende Trends gibt es insbesondere in mindestens vier Aspekten der Gesellschaften: Bevölkerungsgröße, Nahrungsgrundlage, politische Zentralisierung und gesellschaftliche Schichtenbildung. Mit zunehmender Bevölkerungsgröße und -dichte verstärken sich in der Regel die Bemühungen um die Beschaffung von Lebensmitteln und anderen notwendigen Dingen. Kleinbauern, die in Dörfern leben, gewinnen je Flächeneinheit mehr Nahrung als kleine Nomadengruppen von Jägern und Sammlern, und noch größer ist der Ertrag je Flächeneinheit in den mechanisierten landwirtschaftlichen Betrieben der modernen Staaten. Politische Entscheidungsprozesse werden zunehmend zentralisiert und verlagern sich von den persönlichen Diskussionen in kleinen Jäger- und Sammlergruppen zu den politischen Hierarchien und den Entscheidungsträgern. Auch die soziale Schichtenbildung nimmt zu: Die Entwicklung geht von der relativ starken Gleichberechtigung der kleinen Jäger- und Sammlergruppen zur Ungleichheit der Menschen in großen, zentralisierten Gesellschaften.
    Diese Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Aspekten einer Gesellschaft sind nicht starr: In manchen Gesellschaften einer bestimmten Größe ist die Nahrungsbeschaffung, die politische Zentralisierung oder die soziale Schichtenbildung weiter entwickelt als in anderen. Wir brauchen aber eine Kurzbezeichnung für die verschiedenen Typen von Gesellschaften, die sich aufgrund solcher umfassender Trends entwickeln, wobei wir gleichzeitig die Vielfalt innerhalb der Trends anerkennen. Damit stehen wir vor einer ähnlichen praktischen Schwierigkeit wie die Entwicklungspsychologen, die sich über Unterschiede zwischen einzelnen Menschen unterhalten. Zwar ist jeder Mensch einzigartig, es gibt aber auch umfassende, mit dem Alter zusammenhängende Trends: Dreijährige unterscheiden sich beispielsweise im Durchschnitt in vielen, miteinander zusammenhängenden Aspekten von 24 -Jährigen. Andererseits ist das Alter aber ein Kontinuum ohne abrupte Übergänge: Es existiert kein plötzlicher Wechsel vom »wie ein Dreijähriger sein« zum »wie ein Sechsjähriger sein«. Ebenso bestehen Unterschiede zwischen Menschen gleichen Alters. Aber trotz solcher Komplikationen halten Entwicklungspsychologen es für nützlich, allgemeine Kategorien wie »Säugling«, »Kleinkind«, »Kind«, »Jugendlicher«, »junger Erwachsener« und so weiter aufzustellen, wobei sie sich gleichzeitig der Unvollkommenheit einer solchen Einteilung bewusst sind.
    Auch Sozialwissenschaftler finden es nützlich, abgekürzte Kategorien zu verwenden, über deren Unvollkommenheiten sie sich im Klaren sind. Sie stehen aber zusätzlich vor der Schwierigkeit, dass Veränderungen in Gesellschaften sich im Gegensatz zu einer Veränderung der Altersstufen rückgängig machen lassen. Bauern in einem Dorf kehren unter Umständen bei Dürre zu einer Lebensweise als Jäger und Sammler zurück, ein Vierjähriger dagegen wird sich nie wieder in einen Dreijährigen verwandeln. Und während sich die meisten Entwicklungspsychologen über die umfassenden Kategorien Säugling/Kind/Jugendlicher/Erwachsener und ihre Benennung einig sind, bedienen sich die Sozialwissenschaftler zur Beschreibung der Variationsbreite traditioneller Gesellschaften zahlreicher verschiedener Kategoriensysteme, und manche von ihnen rümpfen über die Anwendung von Kategorien ganz allgemein die Nase. In diesem Buch werde ich mich hier und da an dem
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