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Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Titel: Vermächtnis des Schweigens (German Edition)
Autoren: Heather Gudenkauf
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ihre Schwester nicht die war, als die sie sich ausgegeben hatte. Aber es war so viel los gewesen – Reanne, die außer sich gewesen war und verrückte Anschuldigungen von sich gegeben hatte, das Foto von Joshua und Charm. Joshua hatte Angst gehabt, und sie hatte ihn doch nur schützen, ihn an einen Ort bringen wollen, an dem er sicher und gut aufgehoben war. Wie hatten sie nicht wissen können, wer Allison Glenn wirklich war? Waren sie so sehr damit beschäftigt gewesen, die neuen Eltern von Joshua zu sein, dass sie blind gegenüber allem waren, was in ihrer eigenen Stadt vor sich ging? Sie hatte versucht, alles richtig zu machen, eine gute Mutter zu sein, aber war das genug? Hatte sie versagt?
    Jonathan kann dem Krankenwagen nicht folgen, und als sie am Krankenhaus ankommen, ist Joshua schon fortgebracht worden. Jonathan und Claire sitzen im Warteraum, halten einander fest, weinen. Claire schafft es irgendwie, ihre Schwester anzurufen, die verspricht, ihre Mutter zu informieren. Sie werden so schnell wie möglich nach Linden Falls kommen.
    Charm kommt kurz nach ihnen herein, linst um die Ecke des Wartezimmers, zögert einzutreten.
    „Ich habe mich noch um Truman gekümmert und den Laden für dich abgeschlossen“, sagt sie. „Außerdem bin ich endlich meine Mutter losgeworden. Sie wird dich nicht noch mal belästigen.“
    Claire schaut sich um. „Wo ist Allison?“
    Charms Augen sind blutunterlaufen, und ihre Nase ist rot vom Weinen. „Sie sucht ihre Schwester. Es tut mir leid … es tut mir so leid.“ Sie schluchzt und verliert vollends die Fassung.
    „Ich habe die Polizei angerufen“, sagt Jonathan. In seiner Stimme liegt ein wütender Unterton. „Es gibt so vieles, das geklärt werden muss.“ Frustriert fährt er sich mit der Hand durchs Haar. „Was ist mit Allisons Schwester? Wo ist sie?“
    „Ich weiß es nicht“, erwidert Charm hilflos. Ihr Kleid ist immer noch nass und zerknittert, ihr Gesicht blass vor Sorge. Auf Claire wirkt sie genauso verstört, wie sie selbst und Jonathan es sind, und in diesem Moment weiß Claire, dass Charm dem kleinen Joshua niemals absichtlich wehtun würde. Trotzdem ist sie auch ein wenig zornig auf Charm, weil die sie angelogen und getäuscht hat.
    „Bitte, geh jetzt“, sagt Claire. „Es tut mir leid. Wir können dich hier im Moment nicht ertragen.“ Charm nickt schweigend und wendet sich zum Gehen.
    Sie scheinen Jahre auf eine Nachricht über Joshuas Zustand zu warten. Als die Ärztin endlich ins Wartezimmer kommt, scheint eine kalte Klaue nach Claires Herz zu greifen.
    „Joshua wird wieder völlig gesund“, erklärt sie lächelnd. „Er ist wach und atmet von allein. Würden Sie jetzt gern zu ihm gehen?“
    „Natürlich.“ Claire fängt wieder an zu weinen, dieses Mal aus Erleichterung. Die Ärztin führt Jonathan und Claire in das Zimmer, in dem Joshua liegt. Er ist an einen Tropf angeschlossen, und seine Augen sind nur halb geöffnet, aber als er seine Eltern sieht, huscht ein Lächeln über sein fahles Gesicht.
    „Hey, da ist unser dreischwänziger Dachs“, sagt Jonathan leise.
    „Nein, ich bin Joshua Kelby“, antwortet Joshua schwach.
    „Ja, das bist du“, sagt Claire bestimmt. Du bist der Wunsch, den wir jeden Morgen aufs Neue haben, und das Gebet, das wir jeden Abend vor dem Schlafengehen sprechen. Glücklich und erleichtert greift sie nach seiner kleinen Hand.

BRYNN
    Noch eine letzte Sache, dann kann ich mich ausruhen.
    Ich muss zu ihr gehen, sie wissen lassen, dass er kommt. Ich stoße die Tür ins Dunkle auf, fühle die kühle Luft auf meinem Gesicht und meiner nassen Haut. „Über den Fluss und durch die Wälder …“, summe ich. Die neugierigen Blicke der Passanten, denen ich auf der Straße begegne, fallen mir kaum auf. Ich muss aber auch ein Anblick sein … Der Gedanke lässt mich kichern. Es ist nicht mehr weit. Ich weiß, dass es nicht die exakte Stelle ist, an der ich das Mädchen gelassen habe, aber es ist nah genug dran. Muss nah genug dran sein. In der Ferne höre ich Sirenen und frage mich, ob sie meinetwegen kommen. Es ist langsam an der Zeit. Ich gehe ein wenig schneller. Sie hätten schon vor fünf Jahren kommen sollen. Ich wollte es ihnen sagen, aber Allison hat mich daran gehindert, mir den Mund verboten. Und ich habe es versucht, aber jedes Mal, wenn ich die Augen geschlossen habe, sah ich, wie sie davongetragen wurde, hörte ihre Schreie, bis ich es nicht mehr ertrug. Nachdem der Mann ihren kleinen, kalten Leichnam
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