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Verliere nicht dein Gesicht

Verliere nicht dein Gesicht

Titel: Verliere nicht dein Gesicht
Autoren: Scott Westerfeld
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deshalb."

 
  Die Zukunft vor Augen
      

      
      "Hier ist die zweite Möglichkeit." Tally berührte ihren Interface-Ring und der Bildschirm, der die ganze Wand bedeckte, änderte sich.
      Diese Tally war schlank, sie hatte sehr hohe Wangenknochen, grüne Katzenaugen und einen breiten Mund, der sich zu einem wissenden Lächeln kräuselte.
      "Das ist, äh, ganz schön was anderes."
      "Ja. Ich glaub ja nicht mal, dass das erlaubt ist." Tally schob die Augenformparameter zusammen und zog den Bogen der Brauen auf fast normales Maß herunter. In einigen Städten waren exotische Operationen erlaubt - wenn auch nur für neue Pretties -, aber die Behörden hier waren für ihre konservative Haltung bekannt. Tally glaubte nicht, dass irgendein Arzt dieses Morpho auch nur ein zweites Mal ansehen würde, aber es machte Spaß, die Software bis an ihre Grenzen zu treiben. "Findest du, ich sehe unheimlich aus?"
      "Nein. Du siehst aus wie eine echte Miezekatze." Shay kicherte. "Leider meine ich das wortwörtlich, also im Mäuse fressenden Sinn."
      "Na gut, weiter geht’s."
      Die nächste Tally war viel eher das standardmorphologische Modell, mit braunen Mandelaugen, glatten schwarzen Haaren und langem Pony, ihre dunklen Lippen zur höchsten Fülle gebracht.
      "Ziemliche Dutzendware, Tally."
      "Ach, hör doch auf. An dem hier hab ich lange gearbeitet. Ich finde, ich würde so großartig aussehen. Da läuft doch eine richtige Kleopatranummer ab."
      "Weißt du was", sagte Shay, "ich hab gehört, dass die echte Kleopatra überhaupt nicht toll aussah. Sie hat alle Männer verführt, weil sie so clever war."
      "Ja, klar! Und hast du ein Bild von ihr gesehen?"
      "Damals gab’s noch keine Kameras, Scheelauge."
      "Eben. Und woher willst du dann wissen, dass sie hässlich war?"
      "Weil die Historiker damals das geschrieben haben."
      Tally zuckte mit den Schultern. "Sie war vermutlich eine klassische Pretty und die wussten das nicht einmal. Damals hatten sie doch komische Vorstellungen von Schönheit. Und sie hatten keine Ahnung von Biologie."
      "Die Glücklichen." Shay starrte aus dem Fenster.
      "Also, wenn du alle meine Gesichter Schrott findest, warum zeigst du mir nicht ein paar von deinen?" Tally leerte den Wandbildschirm und ließ sich auf dem Bett zurücksinken.
      "Das geht nicht."
      "Du kannst austeilen, aber du kannst nicht einstecken, ja?"
      "Nein, ich meine, ich kann einfach nicht. Ich hab nie eins gemacht."
      Tally klappte das Kinn herunter. Alle Welt machte Morphos, sogar Winzlinge, deren Gesichtsstrukturen sich noch gar nicht gefestigt hatten. Es gab kaum eine bessere Art, den Tag zu vertrödeln, als sich die vielen unterschiedlichen Möglichkeiten zu überlegen, wie man aussehen könnte, wenn man erst einmal hübsch wäre.
      "Kein einziges?"
      "Vielleicht als ich klein war. Aber meine Freunde und ich haben schon vor langer Zeit damit aufgehört."
      "Na." Tally setzte sich auf. "Dann sollten wir das jetzt aber nachholen."
      "Ich würde lieber eine Runde fliegen." Shay machte sich nervös unter ihrem Hemd zu schaffen. Tally stellte sich vor, dass Shay mit dem Bauchsensor schlief und im Traum mit dem Hubbrett durch die Gegend jagte.
      "Nachher, Shay. Ich kann einfach nicht glauben, dass du nicht ein einziges Morph hast. Bitte!"
      "Das ist doch blöd. Die Ärzte machen schließlich, was sie wollen, egal, was du ihnen erzählst."
      "Ich weiß, aber es macht Spaß."
      Shay verdrehte dramatisch ihre Augen, aber dann nickte sie. Sie glitt vom Bett, ließ sich vor dem Bildschirm nieder und strich sich die Haare aus dem Gesicht.
      Tally schnaubte. "Du machst es ja doch nicht zum ersten Mal."
      "Ich hab doch gesagt, ich hab’s gemacht, als ich ein Winzling war."
      "Ja, sicher." Tally drehte an ihrem Interface-Ring, um das Menü auf den Bildschirm zu holen, und zappte mit einem Blinzeln durch die Auswahlliste der visuellen Maus. Die Kamera des Bildschirms ließ das Laserlicht aufleuchten und ein grünes Gitter legte sich über Shays Gesicht, ein Feld aus winzigen Karos zog sich über ihre Wangenknochen, ihre Nase, ihre Lippen und ihre Stirn.
      Sekunden später erschienen zwei Gesichter auf dem Bildschirm. Beide waren Shay, aber es gab deutliche Unterschiede. Die eine Shay sah wild aus, ein wenig zornig, die andere hatte einen leicht weggetretenen Gesichtsausdruck, wie eine Tagträumerin.
      "Komisch, wie das läuft, nicht?", fragte Tally. "Wie zwei verschiedene
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