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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich
Autoren: Ravensburger
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sogenannte transiente epileptische Amnesie, einen vorübergehenden Verlust …«
    »Ja, ja, das weiß ich. Das habe ich schon tausendmal gehört. Aber was ist jetzt mit mir passiert?«
    »Die Polizei hat nach dir gesucht«, antwortete meine Mutter. »Schließlich hat dich ein Bauer gefunden. Du bist mitten auf einer unbefahrenen Straße zu Fuß unterwegs gewesen, mehr als vier Kilometer von der Fundstelle des Autos entfernt.«
    »Vier Kilometer?«
    »Du bist ihm in die Arme gefallen und ohnmächtig geworden. Er hat dich im Pick-up aus den Bergen runtergebracht.«
    In mir arbeitete es, als wollte etwas aus meinem Unterbewusstsein an die Oberfläche dringen. Ich schloss die Augen und versuchte mich zu erinnern.
    »Wie sah er aus?«
    »Wer?«
    »Der Bauer?«
    »Ich weiß es nicht. Wir haben ihn gar nicht gesehen. Ich weiß nicht einmal, wie er heißt.«
    »Du hast zwei Transfusionen bekommen«, sagte Dr. Williams. »Deshalb würden wir dich gern noch ein oder zwei Nächte hierbehalten, bis du wieder zu Kräften gekommen bist.«
    Ich hob die Hand. Eine kleine blaue Schleife war um die Nadel gewickelt.
    »Das nennen wir Schmetterling«, erklärte Dr. Williams. »Das Schleifenband, meine ich. Eigentlich geben wir es nur Kindern, damit sie nicht so viel Angst haben müssen …« Wahrscheinlich bemerkte er meinen Blick, denn er fuhr fort: »Dich kann man damit natürlich nicht mehr beeindrucken. Du warst ganz schön zittrig, als du gebracht wurdest. Die meisten Menschen können sich kaum mehr auf den Beinen halten und schon gar nicht bergauf gehen, wenn sie so viel Blut verloren haben. Deine Kondition ist bewundernswert. Wie fühlst du dich jetzt?«
    »Hungrig.«
    »Wunderbar. Das ist ein gutes Zeichen. Man wird dir gleich etwas bringen.«
    »Du solltest sehen, wie blass du bist!«, sagte Mutter.
    »Was ist mit dem Auto?«, fragte ich, den Blick auf die Bettdecke gerichtet.
    Mom berührte meine Hand. »Wie gut, dass es Versicherungen gibt. Aber wenn du so etwas je wieder tust, dann …«
    »Und ich bin aus der Mannschaft geflogen«, sagte ich.
    »Darüber wollen wir uns jetzt keine Gedanken machen. Es gibt wichtigere Dinge.«
    »Für mich ist es sehr wichtig.«
    »Zuerst wirst du wieder gesund.«
    Ich aß ausgiebig zu Mittag und telefonierte mit Manda, die weinte und sagte, es würde ihr wirklich leidtun, dass ich eine »Konfusion« hatte.
    »Konvulsion, Manda«, korrigierte ich sie. »Ich hatte eine Konvulsion.«
    »Warum hat Gretchen sie nicht bekommen? Sie ist echt eine …«
    »Sag’s nicht, Manda. Versuch’s lieber mit ›Hexe‹. Nein, Gretchen hatte keine Konvulsion. Sie hat eben keine Epilepsie.«
    »Dann soll sie sich damit anstecken«, sagte Manda. »Das ist echt unfair. Schläfst du heute bei mir, Emma? Im Motel?«
    »Heute nicht, Süße.«
    »Sollest du aber.«
    »Warum?«
    »Ich habe keine Lust mehr, alleine in diesem blöden Motel zu sitzen«, flüsterte sie. »Die Fernbedienung funktioniert irgendwie nicht. Außerdem hast du vielleicht noch eine Konfusion und dann wäre ich sofort da, um dir zu helfen. Und wir könnten in den Pool gehen. Der hier ist sogar überdacht und hat eine rote Rutsche mit drei Kurven und …«
    Meine Mutter lief hin und her, kam und ging, bis sie sich schließlich auf den Stuhl fallen ließ und schnarchend einschlief. Der Rest des Tages verging schmerzhaft langsam und die Nacht war noch schlimmer. Nicht zuletzt, weil alles so hell war.
    »Lassen die einen hier nicht im Dunkeln schlafen?«
    Mom murmelte schläfrig: »Hä?«
    »Alles in Ordnung. Geh du lieber zurück ins Motel zu Manda und ruh dich ein wenig aus.«
    Noch im Halbschlaf schlurfte sie hinaus. Mindestens vier Mal kamen Krankenschwestern herein, um mir Medikamente zu geben oder den Verband an meinem Bein zu wechseln. Ich konnte sowieso nicht schlafen, abschalten war unmöglich. Immer wieder versuchte ich mich daran zu erinnern, was nach meinem Unfall geschehen war. Mir war, als hätte ich etwas gesehen. Im Wald .
    Mein Bein pochte. Seltsamerweise wusste ich aber ganz genau, dass ich mich bei dem Unfall nicht verletzt hatte. Bei der Fahrt in den Bach war ich ordentlich durchgeschüttelt worden, aber davon verliert man nicht eineinhalb Liter Blut.
    Irgendwann muss ich doch eingeschlafen sein, ohne es zu merken. Als ich später aufwachte, war ich mir sicher, dass jemand an meinem Bett stand und mich anstarrte. Doch dort war niemand.
    Am nächsten Tag fühlte ich mich besser. So viel besser, dass Dr. Williams
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