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Verkehrte Welt

Verkehrte Welt

Titel: Verkehrte Welt
Autoren: Juergen von der Lippe
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loslassen.«
    »Ricardo Involtini, was für ein schöner Name, kein Vergleich mit Bogendreher«, schwärmte Hildegard, als sie auf den Kirmesplatz fuhren, und erntete dafür den missbilligendsten Blick, den Dolf je auf eine Frau geworfen hatte.
    »Involtini sind Kalbfleisch-Rouladen, und ich nehme nicht an, dass du so heißen möchtest. Zu dir würde eher Gänsekeule passen«, gab Dolf zurück.
    Hildegard blieb tief verletzt im Auto sitzen, während Dolf den Wallach verarzten ging. Sie kam auch nicht mit zur abendlichen Vorstellung, obwohl Dolf Ehrenkarten für die erste Reihe geschenkt bekommen hatte.
    »Das war Vorsehung«, behauptete sie später im Kreise ihrer Kegelschwestern, »der liebe Gott wollte nicht, dass ich miterleben muss, wie mein geliebter Mann von einem wütenden Elefantenbullen zu Tode getrampelt wird.«
    Die Frage, was ihr Mann mitten in der Nacht mit dem ebenfalls ums Leben gekommenen Pferdedresseur im Elefantenstall getrieben haben könnte, beschäftigte sie nicht groß.
    »Keine Ahnung, vielleicht hatte der Elefant Vogelgrippe und der Zirkusmann die Schweinepest oder umgekehrt, und Dolf hat die beiden untersucht«, sagte sie leichthin.
    Manchmal, wenn sie einen Batida de Coco zu viel intus hatte, stellte sie sich vor, wie das Leben weitergegangen wäre, wenn den Elefanten der Anblick zweier Menschenrüsselchen nicht so aufgewühlt hätte. Ihr Dolf wäre dann mit Ricardo zusammen, das schmerzte kurz, hörte aber sofort auf, wenn sie sich deren Gespräche vorstellte: »Ja, das Schicksal geht unergründliche Wege«, sagte Ricardo aus dem Fenster blickend zu Dolf, der die Zugmaschine ins Winterlager nach Bern steuerte. »Deswegen müssen wir uns aber nicht verfahren, schalt doch bitte das Navi ein, Ricci«, entgegnete Dolf ungeduldig, »und statt über Vorsehung zu philosophieren, solltest du dich besser wieder an deine Hausaufgaben machen, ich möchte es schließlich noch erleben, dass mein Partner das Abitur macht.« »Gern«, erwiderte Ricardo lächelnd und schlug sein Englisch-Lehrbuch wieder auf. »Sag einmal, Dolf, kann man das Navi auch auf Englisch sprechen lassen?« »Gute Idee, schau doch mal in der Gebrauchsanleitung nach.«
    »Wo ist denn die?«, fragte Ricci und begann in der Ablage zu kramen. »Herrgottnochmal, Ricci, natürlich rechts im Türfach, wo sie hingehört.«
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VERKEHRTE WELT
    Wieso war ich mittags um 12 der einzige Badegast am Nacktbadestrand von Norderney? Vielleicht, weil es schneite. Und der Schnee blieb liegen, auch auf mir. Irgendwie erregte mich das, folglich blieb noch mehr Schnee auf mir liegen. Ob andere Männer wohl auch diese Empfindungen teilten? Schade, dass keiner da war, saßen wohl alle beim Grog im windgeschützten Strandcafe. Ich fotografierte meinen Eiszapfen, um einen hochdotierten Bilderrätselwettbewerb zu gewinnen, packte Heizdecke, Schaufel und Förmchen ein, wischte mir die Eisblumen von der Sonnenbrille und ging essen.
    Der Ober servierte mir ein merkwürdig riechendes Schnitzel.
    »Ist das Fleisch auch frisch?«, fragte ich ihn.
    »Wenn Sie's nicht bald essen, nicht mehr«, versetzte der Mann und ging, ohne meine schlagfertige Erwiderung abzuwarten.
    Ich hasse patziges Personal, also sprang ich auf, zog mit scharfem Ruck die Tischdecke vom voll besetzten und eingedeckten Nachbartisch, ohne dass etwas umkippte, und brüllte: »Einen Schnaps für alle, die das Essen auch so scheiße finden!«
    Applaus brandete auf, und als der Ober durch die Schwingtür kam, donnerte ich: »Lokalrunde und bringen Sie mir den Koch, damit ich ihm das Schnitzel dahin schieben kann, wo es hingehört!«
    Über mein Wortspiel schmunzelnd, bekam ich gar nicht mit, wie es still wurde. Ich hätte nicht vermutet, dass ein 2,14 großer Mann mit Oberarmen wie dorische Säulen den Berufswunsch Koch im Busen hegt. Türsteher, Profiringer, Rummelboxer, alles hätte mir eingeleuchtet, auch Eisengießer, Müllwerker oder Schauspieler, aber Koch? Eine schöne Stimme hatte der Mann, tief und etwas angeraut, und laut. Ich konnte also gut verstehen, wie er sagte: »Wer schiebt hier wem was wohin?«
    Auf der Stelle erhob sich eine welkende Schönheit von ihrem Single-Tisch in der Ecke und rief mit Dolly-Buster-Akzent, »Ich möchte schieben, mit Dir ...« und legte mittschiffs am Küchenbullen an ». Nummer!«.
    Offensichtlich durch den Jodgehalt der Luft in Verbindung mit
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