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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten
Autoren: Oswald Levett
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Kapitel
    » V ergeblich erwartete ich Erasmus zum Abendessen; er kam
nicht.
    Ich rief ihn, niemand antwortete.
    Ich pochte an die Türe seines Arbeitszimmers; er meldete
sich nicht, in seinem Zimmer war es totenstille. Und er hatte
doch vor meinen Augen die Türe zugeschlagen und von innen
verschlossen.
    Vielleicht war er ausgegangen? Unmöglich; ich hätte es ja
hören müssen, und überdies stak doch der Schlüssel innen in
der Tür.
    Rasende Angst erfaßte mich. Und dennoch, als könnte ich
das Äußerste nicht fassen, klammerte ich mich an die sinnlose
Hoffnung, er könnte ausgegangen sein.
    Ich eilte hinunter, suchte die Gastwirtschaften ab, fragte
bei allen Bekannten nach, lief die Gassen auf und ab, so daß
die Leute neugierig ans Fenster kamen. Niemand hatte ihn gesehen.
    Ich lief hinaus aufs Feld, bis in den Wald. Ich fand ihn
nicht.
    Und nun zurück in atemloser Hast. Inzwischen mußte er
nach Hause gekommen sein und wartete auf das Abendbrot.
    Das Haus war leer, die Stube blieb verschlossen.
    Ich will nicht weitläufig werden, will nicht im einzelnen
schildern, wie ich die ganze Nacht vor seiner Tür stand und
rief und pochte, wie ich mich vergeblich mühte, das Schloß zu
sprengen, bei jedem Schritt, der von der stillen Gasse hallte,
ans Fenster lief und wieder rief — bis die Nachbarsleute kamen
und mich zu Bette brachten, fiebernd und halb von Sinnen.
    In jener Nacht sind meine Haare schlohweiß geworden.
    Am nächsten Morgen, so früh es irgend möglich war, ließ
ich den Schlosser holen, um das Zimmer zu öffnen. Schmerzlich
fuhr mir’s durch den Sinn: Also hat mein Junge doch sein
Versprechen gehalten; die Maschine werde ich heute sehen.
Doch wie werde ich ihn wiedersehen?
    Die Türe war mit leichter Müh’ geöffnet. Bebend an allen
Gliedern stürzte ich ins Zimmer. Das Zimmer war leer, von
Erasmus keine Spur.
    Ich hatte an einen Unfall bei der Hantierung mit der Maschine
gedacht und war darauf gefaßt, ihn schwer verletzt, in
seinem Blute schwimmend, vielleicht entseelt zu finden. Den
Anblick hätte ich vielleicht ertragen. Doch diese Unsichtbarkeit,
die ertrug ich nicht. Ich wurde ohnmächtig.
    Als ich wieder zu mir kam, war das erste, was mir ins Auge
fiel, daß die Maschine fehlte. Die Maschine, die so groß war,
daß sie nicht einmal durchs Haustor, geschweige denn durchdie Zimmertüre oder gar durchs Fenster zu schaffen war; und
sicherlich so schwer, daß sie kaum vier Männer schleppen
konnten!
    Ich durchsuchte das Zimmer bis in die entlegenste Ecke.
Von irgendeinem Kampfe oder sonst einer Gewalttat keine
Spur. Das Bett war unberührt. Im Schranke waren Kleider
und Wäsche vollzählig und in bester Ordnung, so auch Bücherbord
und Werkzeugkasten.
    Auf dem Schreibtisch lagen Geldstücke; alte, schwere
Goldmünzen waren es, nicht weniger als dreißig. Ich hatte
diese Münzen nie gesehen und wußte nicht, daß sie Erasmus
je besessen hatte.
    Die Schreibtischfächer standen offen, und ich sah auf den
ersten Blick, daß seine Aufschreibungen über die Erfindung,
— es war ein dicker Stoß, der eine ganze Lade füllte —, daß
diese Aufschreibungen fehlten.
    Selbstverständlich machte ich sogleich die Anzeige. Vergeblich.
Alle Nachforschungen der Behörden nach Erasmus,
nach der Maschine, den Notizen, nach dem Fremden, blieben
fruchtlos.
    Ich stand vor einem furchtbaren Rätsel. Wo war Erasmus
hinverschwunden, wo die Maschine, die Notizen?
    War er das Opfer eines Verbrechens? Wie war das möglich
am hellichten Tage, zehn Schritt vor mir, und ohne eine Spur
des Eindringens, des Kampfes? Warum blieb dann das Geld,
blieben die kostbaren Instrumente unangetastet?
    Wie war’s nur möglich, die Maschine wegzuschaffen? Oder
hatte es jemand just nur auf die Erfindung, auf die Maschine
und Notizen abgesehen? Niemand wußte von der Erfindung,
außer mir und dem Fremden.
    Hatte der Fremde seine Hand im Spiele? Ich habe ihn
mit eignen Augen fortziehen und nicht mehr wiederkehren
sehen.
    War Erasmus entflohen? Durch die von innen abgesperrte
Türe? Durchs Fenster, ein Stockwerk hoch, am hellen Tage?
Und warum; am Tage seines Triumphes?
    Hatte er eine Übeltat begangen? Wieso blieb sie dann unentdeckt?
Und er hätte es je übers Herz gebracht, mir nicht
ein Sterbenswort zu schreiben, achtzehn Jahre lang, auch als
Flüchtling, als Verbrecher?
    Nein, das kann kein Kind seiner Mutter antun; am allerwenigsten
er, mein Erasmus, mir.«
    Sie blickte nach dem Bildnis ihres Sohnes, als forderte sie
Antwort.
Neuntes
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