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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten
Autoren: Oswald Levett
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Erstes Kapitel
    D as Geheimnis ist der Liebling der Geschichte. Dunkles Geschehen,
rätselhafte Menschen sind immer wieder Gegenstand
historischer Betrachtung, poetischer Gestaltung. Caspar
Hauser, Demetrius, Heinrich von Plauen, der falsche Waldemar
— und wie sie alle heißen mögen, die Geheimnisvollen.
    Doch in dem wohlbestellten Felde klafft noch Brachland;
denn jede Galerie der Seltsamkeiten weist eine bemerkenswerte
Lücke.
    Ich meine jenen Mann, den alte Chroniken »den Frömbden
von Ansbach« nennen. Soviel ich weiß, sind es drei Quellen,
die ihn erwähnen: eine »Relation aller Fürnemen vnd gedenckwürdigen
Historien / so sich hin vnd wieder in Hoch- vnd
Nieder-Teutschland verlauffen vnd zugetragen«, also
eine Zeitung aus Köln; die Chronik des Stadtschreibers von
Ansbach und eine Handschrift des Klosters Oldisleben. Sie
alle drei berichten übereinstimmend: Am andern Montag nach
Peter und Paul das war am 9. Juli des Jahres 1632, erschien
plötzlich in dem Hause eines Ratsherrn von Ansbach ein Mann,
den niemand zuvor eintreten, den überhaupt niemand weit und
breit je zuvor gesehen hatte. Seine Tracht war völlig unbekannt,
nicht nur in Deutschland sondern auch in fremden Ländern. Die
Sprache, die er redete, glich sie auch der deutschen, klang fremd
und war zum großen Teile unverständlich. Der Mann behauptete,
er stamme aus dem neunzehnten Jahrhundert, habe in dieser
Zeit gelebt bis zum Jahre 1906 und sei nun rückversetzt worden.
Des Dreißigjährigen Krieges Dauer und Ausgang und alle großen
Weltbegebenheiten sagte er aufs genaueste voraus. Auchbaute er Maschinen, die mächtige Wunder wirkten. Rätselhaft
wie sein Erscheinen war sein Ende und grauenvoll.
    Soweit die Quellen. Alle Wahrscheinlich spricht dafür, daß
sie ihren Gegenstand unabhängig voneinander behandeln,
und die Art ihrer Darstellung führt zwingend zu dem
Schlusse, daß sie nicht bloß vom Hörensagen, sondern aus
eigener Wahrnehmung berichten.
    Um so mehr muß es verwundern, daß sich die zünftigen
Historiker des Stoffes bisher nicht bemächtigten. Freilich darf
man auf der anderen Seite nicht vergessen, aus welchen Zeiten
jene Kunde stammt: Die Furie des großen Krieges
schwang ihre Geißel; die Städte und die Scheiterhaufen
brannten; finstrer Aberglaube herrschte. Tagtäglich bekannten
Unglückliche unter Folterqualen Zauberspuk und Teufelsbund.
Keplers Mutter war als Hexe angeklagt, Fürsten
warf man in den Kerker wegen schwarzer Kunst — so das
Schicksal Johann Friedrichs, Herzog von Weimar — und der
Bischof von Schleswig, Paulus von Eitzen, hatte zwei Schritt
vor seiner Kanzel mit eignen Augen Ahasver gesehen. Astrologie
und Alchimie beherrschten selbst die kühnsten Geister.
    Bringt doch auch einer unserer Chronisten, der Mönch von
Oldisleben, die Erscheinung des Fremden von Ansbach mit
kosmischen Ereignissen in Zusammenhang. Er beschreibt
ganz genau, welches am 9. Juli die Konstellation gewesen.
    Jupiter und Saturnus standen — ein seltenes Zusammentreffen
— in Konjunktion im Zeichen des Widders, im vierten Hause;
dies ist das Haus der Tiefe, des Verborgenen. Was dieser Konstellation
geheimnisvolle Kraft erhöht, war, daß sie im Trigon zum
Monde stand, als welcher in dem achten Hause weilte, der Stätte
der okkulten Dinge. Auch die Sonne, durch Mercurii Konjunktion
verstärkt, steht im Trigonaspekt zu Jovi und Saturno und
sie verleiht dem Träger solchen Horoskopes mystische Kräfte, bildet
ihn zu einem seltenen, geheimnisvollen Menschen. Der Mars
— er stand im neunten Hause mit dem Drachenkopfe in Konjunktion
— gewährt ihm starke Willenskraft und große Geistesgaben,
die aber allzu leicht betrügerischer Neigung unterliegen;denn zwischen Sonne, Martem und Mercurium liegt das Quadrat.
    Auch verzeichnet der Chronist eine ganze Reihe außerordentlicher
Ereignisse, die am selben Tage, ja zur nämlichen
Stunde stattgefunden haben sollen, da der Fremde erschien: Vor den Augen der Besatzung der genuesischen Felukke »Gagliarda«,
kreuzend im atlantischen Meer, erstieg aus den Fluten
ein gewaltiges Eiland bevölkert von Schlangen und riesigen
Seeungeheuern; in der Zuidersee erhob sich bei windstillem
Himmel eine Springflut, durchbrach die Deiche und verschlang
drei Dörfer; in Neugart (Nischnij-Nowgorod) erschien ein
Heer von Myriaden Lemmingen, verwüstete die Felder, ergoß
sich in die Scheunen, in die Häuser und vertrieb die Menschen.
    Nun gibt es aber auch zu denken, daß sich bloß drei Quellen
mit unserem
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