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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten
Autoren: Oswald Levett
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Raume mit unfaßlicher Geschwindigkeit
um die Sonne kreist, daß sie nur einer unter Myriaden
anderer Weltkörper ist — diese Vorstellung wäre den Völkern
der Antike undenkbar gewesen. Die Schallplatte und der
Fernsprecher wären vor hundert Jahren, der Rundfunk noch
vor fünfzig Jahren auch von den erleuchtetsten Geistern als
barste Unmöglichkeit betrachtet worden.
    Folgen wir diesem optimistischen Gedankengange und
glauben wir einmal an die Realität von Büttgemeisters Erfindung.
Aber da stehen wir im nächsten Augenblick vor einem
zweiten, noch unergründlicheren Rätsel. Neben dem Wunder
der Technik erhebt sich in bizarr-erhabner Nachbarschaft ein
Wunder Gottes.
    Denn wenn wir Büttgemeister seine Erfindung glauben —
an deren Einzelheiten er sich gar nicht besinnt —, dann müssen
wir ihm auch den Ewigen Juden Ahasverus glauben, den er auf
das bestimmteste erkennt. Hier kann es sich nicht um eine verwirrende
Ähnlichkeit handeln, wie bei Agathe, hier schließt
die Handschrift mit vollem Nachdruck jede Täuschung aus.
Auch ist die Erscheinung jenes Mannes — dem Erasmus im
siebzehnten und im zwanzigsten Jahrhundert begegnet —,
sind seine Worte und sein Handeln derart, daß sie folgerichtig
nur dem Ewigen Juden zugeschrieben werden können.
    Sowie er von Erasmus’ Erfindung erfährt, fördert er die
stockende Arbeit, betreibt mit fieberhaftem Eifer ihre Vollendung,
zu keinem anderen Zweck, als um sich der Wundermaschine
zu bemächtigen und sich mit ihrer Hilfe von dem Fluche
der Unsterblichkeit zu erlösen. »Ach, wenn ich es erst
hätte, dies Ding, dies Unding! Dann fort, fort bis ans Ende aller
Zeiten!« Und da er sich von Erasmus um sein Ziel betrogen
glaubt, flucht er ihm mit den Worten: »›Ich werde ruhn,
doch du wirst gehn.‹ Das waren auch die Worte eines anderen,
der mich verfluchte. So sei verdammt wie ich. So soll dich
Gott mit deinem eigenen vermeßnen Werke strafen. Wie ich
im Raume friedlos irre, so mögest du dich in der Wüstenei der
Zeit verirren, heimatlos und hoffnungslos.«
    Diese Worte, die im Munde jedes anderen Menschen irres
Gefasel wären, sie gewinnen, von Ahasverus gesprochen, erhabne,
furchterregende Bedeutung. Denn tatsächlich — so ist
es überliefert — sprach Jesus Christus, als er auf dem Wege
nach Golgatha vor dem Hause des Ahasverus ruhen wollte
und dieser ihn davontrieb, zu Ahasver: »Ich werde ruhen, du
aber sollst gehen, bis ich wiederkomme!«
    Wie lösen wir nun jenes zweite Rätsel? Wenn je ein Menschenwerk
den Glauben an das Dasein Gottes erschüttern
könnte, so wäre es die zeitüberwindende Maschine. Und
doch berichtet uns der Schöpfer jenes gottesleugnerischen
Werkes ein sichtbares Wunder Gottes! —
    Diesen rätselhaften Widersprüchen und widerspruchsvollen
Rätseln entrinnen wir, wenn wir nach einer andern Deutung
der Handschrift suchen, einer Deutung, welche den Bericht
der Handschrift aus dem Bereich der Wirklichkeit verweist.
    Freilich — um es vorwegzunehmen — bleibt auch bei dieser
Deutung manches unaufgeklärt: der Fundort der Handschrift
in dem vermauerten Gefängnistrakt, das Verschwinden der
Maschine, das Verschollensein Erasmus’. Aber all dies sind
Tatsachen, die zwar unaufgeklärt, doch nicht unerklärlich
sind, für die sich Erklärungen finden lassen, die zwar nichtvöllig befriedigen, aber doch nicht den Denkgesetzen widersprechen.
    Die Kerkerzelle im Turme — wo die Handschrift gefunden
wurde — war zu Lebzeiten Erasmus Büttgemeisters wohl
nicht vom Gerichtsgebäude aus, aber von außen her für jeden
halbwegs geübten Kletterer ohne weiteres zugänglich.
    Die Maschine war zwar nach der Schätzung von Erasmus’
Mutter so groß, »daß sie nicht einmal durchs Haustor, geschweige
durch die Zimmertüre oder gar durchs Fenster zu
schaffen war«. Aber Frau Büttgemeister hatte die Maschine
nur in ihrem anfänglichen, unfertigen Zustand gesehen. Späterhin
verwehrte ihr Erasmus bekanntlich auch den bloßen
Anblick der Maschine, indem er das Schlüsselloch verhängte.
Es ist nun durchaus möglich, daß die fertige Maschine weitaus
kleinere Dimensionen hatte, und wenn sie eine Art Flugzeug
war — im Jahre 1906, als Erasmus verschwand, überflog
Blériot bereits den Ärmelkanal —, so ist es zumindest nicht undenkbar,
daß die Maschine durchs Fenster entschwand und
Erasmus mit ihr. Und wenn Erasmus mitsamt seiner Maschine
fortan verschollen blieb, so teilte er dieses Schicksal mit gar
manchem Flieger.
    Für eine Deutung, welche die
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