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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten
Autoren: Oswald Levett
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aller Weisheit schöpfen,
aus dem Worte Gottes.
    Ein ungeheures Gleichnis erkenne ich in Eurem Schicksal.
Seht doch, Erasmus.
    Erasmus . . . Schon in Eurem Namen liegt Vorbedeutung.
Erasmus: erraturus. 16 )
    Seht doch. An einem siebenundzwanzigsten April wurdet
Ihr entrückt. Der siebenundzwanzigste April ist der Tag des
heiligen Peregrinus. Peregrinus: der Fremde. Von diesem
Märtyrer stammt der Ausspruch: ›Mein Gott, mein Gott, in
welchem Jahrhundert hast du mich geboren werden lassen!‹
    Höret weiter. Zehntausend Tage habet Ihr gelebt, um hunderttausend
rückzumessen, ›quia unus dies apud dominum sicut
mille anni et mille anni sicut unus dies!‹ 17 )
    Und die Erinnerung an Euer eignes großes Werk ist Euch
zerstört. Denn es steht geschrieben: Des Herren Angesicht
steht über denen, so Böses tun, ut perdat memoriam
eorum . . . 18 ) Ihr habt in Gottes Allmacht eingegriffen.«
    »Also nur um eines Wort- und Zahlenspieles willen soll
ich gelebt haben und gelitten! . . . Gottes Allmacht. Seht
her!«
    Ich zeichnete mit meinen Schellen ein Dreieck in den Staub
des Bodens.
    »Kann Gott bewirken, daß die Summe der Winkel eines
Dreiecks nicht gleich einhundertachtzig Grad ist? Wo bleibt
seine Allmacht? Sie scheitert an der Zahl.
    Kann er Gescheh’nes ungeschehen machen? Aber ich wollte das Gescheh’ne ungeschehen und das Ungeschehenegeschehen machen. Die Kerkermauern wollte ich niederreißen,
hinter denen uns die Zeit gefangenhält.«
    16)   Der du irren wirst, dich verirren wirst.
    17)   Denn ein Tag ist vor dem Herrn gleich tausend Jahr und tausend Jahre
wie ein Tag.
    18)   Daß er ihr Gedächtnis austilge. — Das Zitat ist allerdings nicht vollständig.
Es fehlen die Worte »de terra«. Damit ist auch der Sinn anders und lautet:
daß er ihr Gedächtnis austilge von der Erden.
    »Gefangen hält . . . Nur unser sterblich Teil. Die Seele habet
Ihr vergessen.
    Die Zeit . . . Was ist die Zeit?«
    Und leise, versonnen sprach er vor sich hin:
    »In aeterno corda rerum
    Nil in unda est dierum
    Et in hora nihil verum.« 19 )
    Dann schwiegen wir beide — erfüllt von unseren Gedanken.
    Um die Stille zu brechen und um wieder seine Stimme zu
vernehmen, fragte ich in ehrfürchtiger Neugier: »Saget doch,
wer seid Ihr? Wie nennt Ihr Euch?«
    »Friedrich von Spee hieß ich, ehe ich mich der heiligen Kirche
weihte.«
    »Friedrich von Spee. Welch hochgepriesner Name. Der
Dichter der ›Trutznachtigall‹, der edelmütige Bekämpfer des
Hexenwahns. Ihr, Ihr seid unsterblich.« Und bitter schloß ich:
»Und ich wollte mir Unsterblichkeit erringen und muß zerschellen,
spurlos, namenlos.«
    Zarte Röte deckte seine abgezehrten Wangen.
    »Seid nicht ungerecht. Wer Ungeheueres erlebt, muß Ungeheures
erleiden. Aber mich faßt unsagbare Freude. Nicht
weil Ihr mir von meinem Nachruhm kündet. Nein, weil ich
jetzt mit eignen Augen das überwältigende Wunder Gottes
sehe, ja, Ihr stammt wirklich aus der Zukunft. Denn niemand,
außer mir, weiß noch von den Büchern, die ich schreibe.
    Und auch du, mein Bruder, freue dich. Denn wen Gott zu
einem solchen Wunder ausersehen, den hat er auserkoren,
nicht ausgestoßen. Sieh doch, du mußt leiden um deiner eigenen
Ziele willen, aber denke doch«, und er sank nieder aufdie Knie, und seine Augen leuchteten in unsagbarem Glanze,
»denke doch an Ihn, der für uns alle litt, der dich erwartet in
all seiner Herrlichkeit, der dich geleiten wird in die Gefilde
unsterblicher Freude. Bruder, Auserwählter, der du einziehen
wirst zum Throne Gottes, bete für mich Armen!«
    Und in seine segnenden Hände weinte ich die letzten Tränen.
    19)   Der Dinge Wesen in Unendlichkeit liegt. Im Auf und Ab des Tages dich
der Schein besiegt. Und keine Stunde dir beständ’ge Wahrheit gibt.
Dreiundfünfzigstes Kapitel
    D a liege ich, gefesselt an Händen und an Füßen, und erwarte
den Martertod. Da liege ich, gefesselt wie Prometheus,
und wollte der Menschheit das Höchste erringen. Da liege
ich.
    Um mich Grabesstille. Nur ab und zu das Knirschen der
Seile an der Folterbank und irres Heulen der Gemarterten.
Wenn ich Trost suche, blicke ich empor zum Fenster, wo ein
winzig kleines Stückchen blauer Himmel leuchtet und verwittertes
Gemäuer, bedeckt mit wildem Grün.
    Aber schweige, mein Herz. Du heißes, ungestümes Herz,
schweig stille. Für das Gute und das Hohe hast du stets geschlagen
und mußt nun brechen in Schmach und Einsamkeit
und Martern.
    Ach, es ist das Los der Freudenbringer, daß sie
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