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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten
Autoren: Oswald Levett
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Nichtwissen von den technischen Einzelheiten der Erfindung
führt Büttgemeister auf eine krankhafte Erinnerungslücke
(Amnesie) zurück. Diese Erklärung ist nicht ganz von
der Hand zu weisen. Denn es ist sehr wohl denkbar, daß eine
Zeitdurchquerung — wenn sie überhaupt möglich — unsern
Organismus den tiefgreifendsten Veränderungen aussetzt, ja,
es ist eines der großen Geheimnisse um diese wunderbare Erfindung,
wie es nur möglich ist, den Lenker des Tempomobils
vor dem zerstörenden Einflusse der Zeit, die er ja eilends
durchmißt, zu schützen.
    Bleibt noch zu fragen: Was ist aus der Dynamomaschine
geworden, die Büttgemeister im Jahre 1632 erbaut hatte, und
was ist mit dem Tempomobil geschehen?
    Die Dynamomaschine war unversehrt geblieben. Sie war
nicht leicht zu übersehen — wie etwa der silberne Taschenstift,
den Büttgemeister dem Justiziar Altmannstetter
schenkte. Wie kommt es, daß in den zeitgenössischen Quellen
nirgend von ihr die Rede ist?
    Darauf ist eine Antwort bald gefunden: Nach Erasmus’ gewaltsamem
Tode wußte man mit der Dynamomaschine nichts
anzufangen. Vielleicht zerstörte man sie als Teufelswerk, vielleicht
geriet sie einfach in Vergessenheit, stand irgendwo
herum mit allerhand Gerümpel, bis sie als altes Eisen eingeschmolzen
wurde.
    Was ist aus dem Tempomobil geworden? »Wohin ist das
Gespensterschiff gesegelt?« fragte Erasmus Büttgemeister.
Solange seine Triebkraft reichte, machte es — in umgekehrter
Folge — alle räumlichen Veränderungen seines Standortes
mit. Wenn es bis in die Zeit zurückgelangte, da das Haus der
Büttgemeister neu erbaut wurde, mußte es zu Boden stürzen— sofern es nicht auch Schwebekraft besitzt und überhaupt an
die Schwere gebunden ist. Es mußte, falls es nicht zuschaden
kam und seine Triebkraft anhielt, in prähistorische Zeiten gelangen
und somit in Erdschichten, welche tief unter der jetzigen
Erdoberfläche liegen. Und wenn seine Bewegung nicht
erlahmte, geriet es schließlich »bis in den Urbeginn der Erdentage«,
in jene Äonenferne, da der Erdball feurig-flüssig
war. Dies ist die äußerste Grenze jenes Wunderfluges; denn
daß die Maschine auch den Feuernebeln der Erderschaffung
standhielt, dies muß auch die wundergläubigste Phantasie
verneinen. Mit gutem Grund fragte Büttgemeister: »Wird
man es einst in einer Höhle des Eozän entdecken? Oder ist es
fortgerast bis an den Anfang allen Anfangs, bis in den Urbeginn
der Erdentage, um in den Flammennebeln der Erschaffung
zu verdampfen?«
    Wenn sich auch für die bisher aufgeworfenen Fragen zur
Not eine Erklärung finden läßt, so waltet doch über der Erfindung
Büttgemeisters ein unergründliches Geheimnis.
    Ist es überhaupt denkbar, die Zeit zu »überwinden«; die
Zeit, die etwas Unwirkliches ist, die nur in unserer Vorstellung
existiert, die in Wirklichkeit nichts ist als die Veränderung
des Raumes, also eine Eigenschaft desselben? Und dieses
Unwirkliche, dieses Abstraktum soll mit etwas Konkretem,
mit einer Maschine durchmessen werden können?
    Die Handschrift erhebt gegen die Möglichkeit einer derartigen
Erfindung Einwendungen, die — wenigstens bei dem
heutigen Stande unserer Erkenntnisse — unwiderleglich sind:
»Wenn ich von heute in zweihundert Jahren längst verstorben
bin, wie kann ich dann zur selben Zeit, auf der Maschine sitzend,
leben? Vielleicht vom Fahrzeug steigen und meine
eigene Gruft besuchen, wo meine längst vermoderten Gebeine
ruhen? Und in der Vergangenheit: Wenn ich gestern ging und
stand und sprach und allerhand verrichtete, wie kann ich
dann dasselbe Gestern, auf der Maschine fahrend, noch einmal
durchleben, also zu gleicher Zeit auf der Maschine und
außerhalb derselben? Wenn es möglich ist, die Zeit zu überwinden,so muß es doch, so wie es mir geglückt ist, ob früher
oder später auch ein anderer Mensch zu Wege bringen, es
muß Gemeingut aller Menschen werden, wie die Dampfmaschine,
wie das Luftschiff. Warum ist dann noch nie ein solcher
Zeitumsegler auch bei uns erschienen? Und wenn es ihm
beifiele, zurückzujagen bis in die entfernteste Vergangenheit,
bis an die Wiege allen menschlichen Geschlechts, und hier mit
ein paar Bomben oder mit einer Phiole giftiger Bakterien alles
Leben zu vernichten — wo wäre dann die Menschheit, wo er
selbst?«
    Freilich gibt es genug Erfindungen und Entdeckungen, die
auch, ehe sie gemacht wurden, undenkbar schienen. Unser
ganzes Weltgebäude, die Vorstellung, daß die Erde eine Kugel
ist, die im unendlichen
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