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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten
Autoren: Oswald Levett
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aber er weiß
nicht, kann nicht wissen, daß seine ursprünglich womöglich
edlen Motive sehr bald verkrustet wären vom geronnenen
Blut derer, denen er das Glück und die weise Neuordnung der
Dinge zu bringen gedachte.
    Eine phantastische Überhöhung bietet für Oswald Levett
den geeigneten Rahmen, um solch komplexe Intentionen zu
gestalten. Die Hauptperson des Romans ist derart abstrakt
angelegt, daß sie als Stellvertreter des gesamten Spektrums
menschlicher Wesenskräfte zu dienen vermag. Die spezifische
Art der literarischen Verfremdung, deren sich der Autor bedient,
um diese philosophischen Themen glaubwürdig darstellen
zu können, ist ebenso originell wie gewinnbringend.
Eine Zeitmaschine versetzt den Helden aus dem 20. ins
17. Jahrhundert, mitten hinein in die bewegte Zeit des Dreißigjährigen
Krieges. Nicht nur die Zeit, auch der Handlungsort
läßt sich — für einen phantastischen Roman ungewohnt
präzise — bestimmen: Ansbach liegt in Mittelfranken, 45 Kilometer
von Nürnberg entfernt. Sprache und Bräuche jener
Zeit werden detailreich und geschichtskundig wiedergegeben,
und bald erscheint dem heutigen Leser diese Kulisse vertrauter,
lebendiger als das junge 20. Jahrhundert, aus dem
Büttgemeister herausgerissen wird. Durch diesen Kunstgriff
stehen plötzlich die technischen Möglichkeiten einer Zeit, die
zum Weltkriege rüstet, der Kultur eines Deutschland gegenüber,
die wir heute mit Wallenstein oder der Landstörzerin
Courasche in Verbindung bringen. Stolpert der Held zunächst,
ähnlich tumb dem Simplicio des Grimmelshausen, in
sein Abenteuer mit der Geschichte hinein, so wird er sich
doch bald des Ahistorismus bewußt, der ihn zum Übermenschen
macht und aus der Sicht des Lesers vom Einzelhelden
zum symbolischen Gattungswesen erhebt.
    Nachdem die phantastische Idee der Zeitreise eingeführt
worden ist, entwickelt der Autor den Grundkonflikt realistisch
weiter, doch dieser einzige Bruch mit den Gesetzen der
Wirklichkeit enthebt die Handlung fortan der realen Welt.
Nie hatte ein Mensch derartige Möglichkeiten, auf den Geschichtsablauf
Einfluß zu nehmen — man bedenke die Folgen
eines Maschinengewehrangriffs auf die Truppen Gustav
Adolfs —, und doch ist es das gleiche Prinzip: Stets wurde
neueste Technik zuerst im militärischen Bereich angewandt,stets mußte sich der Erfinder, der Wissenschaftler auch über
die Folgen seiner Entdeckung Gedanken machen, mußte abwägen,
in wessen Hände er sie gab, wollte er seiner Verantwortung
vor der Menschheit gerecht werden. Die überhöhende
literarische Verfremdung macht es deutlich: die
innovativen Kräfte des Menschen dienten immer auch dazu,
reale Machtverhältnisse in der Gesellschaft zu bestätigen.
    Der Autor unternimmt ein weiteres: Er spielt die subjektive
Seite dieses Konflikts im Modell »Büttgemeister« durch,
macht den Stolz, Erster seiner Epoche zu sein, anschaulich,
führt den — nicht immer bewußt ausgetragenen — inneren
Widerstreit zwischen humanistischen Prinzipien und Egoismus
vor. Welche Versuchung, das Schicksal der Menschheit
bestimmen zu können. Wer, in diese Lage versetzt, wüßte da
nicht sofort, dies oder jenes besser zu entscheiden, hier alte
Konflikte zu schlichten, dort Bedürftigen beizustehen und da
der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen? Und wer vergäße
nicht, gleich Büttgemeister, die Tatsache nur begrenzt möglicher
Einsicht eines Individuums in politische, ökonomische,
kulturelle Zusammenhänge seiner Zeit? Erasmus Büttgemeister
erliegt der allzu begreiflichen Versuchung des durch Wissen
Mächtigen, des Auserwählten, die Welt nach seinem
Wohlgefallen und Gutdünken gestalten zu können. Er versucht
es im kleinen durch allerlei technische Taschenspielertricks
— und der Autor läßt ihn gnadenlos, aber konsequent an
den Gesetzen der Welt, die nun einmal von Individuen nicht
nach Belieben umgestaltet werden können, scheitern. Der
Held schwankt. Winkt ihm nicht auch ein bescheidenes Glück
in den Armen der schicksalhaft wiedergefundenen Geliebten,
im Kreise treuer, ihm wohlgesinnter Freunde? Doch dies bedeutete
Verzicht, Verzicht auf die Kenntnisse des aufgeklärten
20. Jahrhunderts, Verzicht auf die Moral, die kulturellen
Errungenschaften, auf die Idee des Fortschritts und die Ideale
des Wissenschaftlers. Ein einzelner kann das alles aufgeben,
sich einfügen, anpassen. Doch der Mensch an sich, Büttgemeister,kann dies nicht. Die Menschheit vermag nicht den
konfliktfreien, bequemen Weg zu wählen.
    Diese
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