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Vergissmichnicht

Vergissmichnicht

Titel: Vergissmichnicht
Autoren: Eva-Maria Bast
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Türsteher.
    Marlene schämte sich. Für ihr Leben, für die Gesellschaft, in der sie lebte, und für die Blöße, die sie sich gegeben hatte. »Ich bin nicht …«, brach es aus ihr heraus. Hastig biss sie sich auf die Lippen, schluckte die ungesagten Worte hinunter. Fast hätte sie sich bei diesem arroganten Türsteher dafür entschuldigt, dass sie ihn gegrüßt hatte, und ihm erklärt, dass sie eben nicht zu jenen Billigtouristen gehörte, sondern zu ihnen, zur besseren Gesellschaft von St. Tropez. Dazugehören. Teil von etwas sein . Der Schmerz des Verlustes, dieser lähmende, alles überrollende Schmerz, holte sie immer mehr ein. Je mehr Zeit verging, desto größer wurde die Sehnsucht. Desto unerträglicher wurde das Wissen, auf immer verloren zu haben. Auf immer verloren zu sein .
    Marlene Didier machte auf dem Absatz kehrt und stöckelte auf ihren hochhackigen Sandalen von Christian Louboutin die Treppe hinunter. Dem Türsteher schenkte sie keinen Blick mehr. Und schon gar kein Lächeln. Sie musste zum Hafen, schnell, ganz schnell. Wenn auch die Luxusyachten viel vom kraftspendenden Blick auf das Wasser nahmen, so war sie am Hafen doch zumindest in der Nähe des Wassers, ihrer Heimat. Doch das Wasser ihrer Heimat, das war ruhiger und klarer. Süß, nicht salzig. Das Wasser ihrer Heimat, das war das Bodenseewasser. Aber die Süße hatte auf immer einen bitteren Beigeschmack bekommen. Den Beigeschmack von Blut.
    Marlene Didier hastete in Richtung Hafen. Eine Flüchtende. Auf der Flucht seit 32 Jahren. Doch sie spürte, dass ihre Flucht bald zu Ende sein würde, dass sie in eine Sackgasse führte. Marlene dachte dabei an eine psychische Sackgasse. Sie wusste nicht, dass die Vergangenheit sie auch in anderer, in physischer Weise einzuholen begann: Marlene Didier bemerkte den Schatten nicht, der ihr lautlos folgte.

Sechstes Kapitel
    Überlingen
    Hohl hallte das Martinshorn durch die Nacht. Das Blaulicht der Einsatzwagen von Polizei und Notarzt tauchte die Szenerie in ein gespenstisch flackerndes Licht.
    Ole fluchte, als er die alte Dame mit durchgeschnittener Kehle im grellen Licht der Scheinwerfer auf der Bank liegen sah. Es war kein schöner Anblick. Er schlüpfte unter der Polizeiabsperrung durch und ging zu seinen Kollegen.
    »Ach, sind Sie auch schon da«, muffelte Monja Grundel, die selbst eben erst ankommen war.
    »Ja«, sagte Ole. »Und zwar exakt …«, er blickte auf seine Armbanduhr, »… fünf Minuten, nachdem der Anruf der Wache einging.«
    Monja Grundel brummte etwas Unverständliches.
    »Wie bitte?«
    »Ich habe gesagt, Sie sollen die Zeugin vernehmen«, fauchte Monja Grundel und deutete mit dem Kinn auf eine rothaarige junge Frau, die, in eine Decke des Deutschen Roten Kreuzes gewickelt, am Ufer saß und auf den dunklen See starrte. Neben ihr kniete eine Frau vom Roten Kreuz und reichte ihr einen Becher mit dampfendem Inhalt. Die Rothaarige schüttelte den Kopf. Die roten Locken, die ihr über die Schulter bis auf die Mitte ihres Rückens fielen, setzten die Bewegung ihres Kopfes fort. Ein Strahl des Lichtes, das den Ort des Verbrechens erhellte, fiel auf ihre Haare und ließ das Rot aufleuchten. Wie Feuer, dachte Ole flüchtig und spürte Ärger darüber in sich aufwallen, dass die Grundel ihn immer noch wie einen Schuljungen herumkommandierte. Er wollte sie schon scharf zurechtweisen, schluckte seine Wut dann aber herunter. Das war jetzt wirklich nicht der richtige Augenblick für Machtkämpfe. Doch in nicht allzu ferner Zeit stünde ein ernstes Gespräch an.
    »Passen Sie auf, die ist von der Zeitung!«, rief Grundel ihm hinterher, als er sich schon auf den Weg zum Seeufer machte.
    Strobehn hob eine Hand zum Zeichen, dass er verstanden hatte, drehte sich aber nicht mehr nach seiner Kollegin um.
    »Frau Tuleit? Ich bin Kommissar Ole Strobehn«, sagte er, als er bei ihr ankam.
    Alexandra wandte sich halb zu ihm um. Das »Hallo«, das sie auf den Lippen gehabt hatte, blieb ihr im Hals stecken. Die Stimme versagte ihr den Dienst, als habe der Schock, der sich tief in ihren Körper gegraben hatte, nun auch ihre Stimmbänder lahmgelegt. Sie räusperte sich und legte dabei die Hand an ihren Hals. »Hallo«, versuchte sie es noch einmal. Sie kannte den Kommissar nicht, was in der kleinen Stadt äußerst ungewöhnlich war. Er schien neu zu sein.
    »Darf ich mich einen Moment zu Ihnen setzen?«, fragte er und warf der DRK-Helferin einen auffordernden Blick zu. Die Frau begriff, stand eilig auf und ging
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