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Vergiss mein nicht (German Edition)

Vergiss mein nicht (German Edition)

Titel: Vergiss mein nicht (German Edition)
Autoren: David Sieveking
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verwirrt, vor allem, da mir der Mann ein Foto von sich zeigte. Ich schüttelte den Kopf und ging einfach weiter, doch der Typ packte mich am Arm und hielt mir sein Foto ganz nah unter die Nase. Einen Moment lang dachte ich, der Mann sei geistesgestört, dann erst erkannte ich, dass das Foto zu einem Ausweis gehörte, der den Mann als Ladendetektiv identifizierte. Wahrscheinlich war ihm aufgefallen, dass ich trotz sommerlicher Temperaturen als einziger Kunde eine Jacke trug. Mir brach der Schweiß aus, was nicht weiter auffiel, da ich sowieso schon schwitzte. Meine Beteuerungen, die neue CD in meiner Jackentasche hätte ich nicht geklaut, sondernmitgebracht, nützten nichts. Er zeigte mir den Klebestreifen, den er hinter mir vom Boden aufgesammelt hatte.
    »Kommst du mit mir, Junge!«, befahl er mir und führte mich ab in ein fensterloses Büro, um meine Personalien aufzunehmen. Bald darauf erschien die gestrenge Marktleiterin, eine Frau Mitte 50 mit langen roten Fingernägeln und viel Schminke im Gesicht.
    »Warum hast du denn bloß geklaut, mein Junge?«, fragte sie mich sehr ernst.
    »Weil die CDs viel zu teuer sind!«, erwiderte ich trotzig und erklärte ihr: »Das Geld steckt sich die Plattenindustrie in die vollen Taschen, um sich und ein paar Superstars zu bereichern, während andere geniale, aber arme Künstler nicht bekannt werden können, weil die CDs viel zu teuer sind!«
    Es führte in diesem Moment zu weit, ihr zu erklären, dass ich die geklaute Musik in der Schule dann an meine Mitschüler verschenkte – natürlich erst, nachdem ich sie mir überspielt hatte. So konnte ich einerseits meine Beliebtheit steigern und außerdem verkannten Musikern zu größerer Popularität verhelfen. Die Marktleiterin ließ meine Identität als ›Rächer der Entehrten‹ und meine Vorstellung vom ›gerechten CD-Diebstahl‹ dann arg ins Wanken geraten, als sie in meinem Portemonnaie genügend Geld fand, mit dem ich die CD hätte kaufen können: »Was heißt hier, die CDs sind zu teuer?«, bohrte sie wütend nach.
    Die Marktleiterin hatte insofern recht, als dass ich nicht aus materieller Not heraus gehandelt hatte. Aber mein Geld hatte ich mir zumindest selbst als Zeitungsausträger und Aushilfskraft im Supermarkt ehrlich verdient. Meine Eltern waren nämlich alles andere als reich, zumindest für Bad Homburger Verhältnisse, wo eine der höchsten Millionärsdichten Deutschlands besteht. Mein Vater arbeitete als Mathematikprofessor an der Universität in Frankfurt, und meine Mutterunterrichtete Deutsch für Ausländer an einer Sprachschule. Als Akademikerkind der bürgerlichen Mittelschicht war ich ohne Mangel, aber auch ohne Luxus aufgewachsen.
    Meine Mutter hatte mich, nachdem meine beiden Schwestern schon auf einer eher ›alternativen‹ Schule gewesen waren, auf das humanistische Gymnasium von Bad Homburg geschickt, die altehrwürdige Kaiserin-Friedrich-Schule, wo Latein und Griechisch auf dem Lehrplan ganz oben standen und deren Direktor von englischen Boarding-Schools träumte. Für meine Schwestern war es einfach die ›Bonzenschule‹. Tatsächlich gab es dort jede Menge Kinder reicher Eltern in teuren Klamotten. Es dauerte eine Weile, bis ich die Codes der Markenlogos verinnerlicht hatte und die Bedeutung des kleinen Bäumchens auf einem Schuh, des winzigen Krokodils oder Polo-Reiters auf einem Hemd entschlüsselt und verstanden hatte, dass eine Hose oder ein paar Turnschuhe doppelt so viel wie mein Fahrrad kosten konnten. Da mich meine Mutter ausschließlich auf Flohmärkten einkleidete und meine Hosen so lange wieder zusammennähte, bis sie vollends auseinanderfielen, hatte ich automatisch eine gewisse Außenseiterrolle. Während meiner Schulzeit bin ich auch kein einziges Mal bei einem Friseur gewesen, das erledigte selbstverständlich meine Mutter. Genauso wenig gingen wir jemals in ein Bad Homburger Restaurant. Allein den Gedanken daran fand meine Mutter befremdlich: »Wieso? Das können wir doch zu Hause selber machen!«
    Von meinem Vater wurde ein lässiger Landstreicher-Look gepflegt. Wahrscheinlich war der Schmuddel-Stil Teil seiner Rebellion gegen den stets tadellos gekleideten Vater, der gerne Hüte und Krawatten trug und als Bundesrichter zur Verhandlung in roter Robe auftrat. Malte dagegen ging in abgetragener Outdoorhose, löcherigem T-Shirt und Trekking-Sandalen zur Vorlesung an die Uni.
    Als ich während eines einjährigen Aufenthaltes meiner Familie in Südamerika auf eine deutsche Schule in
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