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Vergiss mein nicht (German Edition)

Vergiss mein nicht (German Edition)

Titel: Vergiss mein nicht (German Edition)
Autoren: David Sieveking
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meine Zukunft, und sie konnte sich gut vorstellen, dass ich einmal Richter werden würde. Sie fand, ich ginge mit Freunden und Mitschülern auffallend fair um und hätte ein ausgeprägtes Gefühl für Gerechtigkeit. Ich war dafür bekannt, auch mit unbeliebten und schwierigen Kindern gut zurechtzukommen, und bei Konflikten war ich immer auf Ausgleich bedacht. Aber musste ich deswegen gleich Richter werden? Ich hatte ja nichts dagegen, für Gerechtigkeit einzutreten, allerdings sah ich mich eher nachts als Batman Verbrecher jagen oder à la Indiana Jones Tempelschätze vor Grabräubern bewahren. Wie kam meine Mutter darauf, mir ein trockenes Jurastudium anzudrehen? Klar, ich hatte schon einige Erfahrung als Gesetzeshüter gesammelt, indem ich als Sheriff auf diversen Kindergeburtstagen und Faschingsfeiern für Ordnung sorgte. Und ich wusste aus meiner Lieblingsserie Ein Colt für alle Fälle, was ein Kautionsflüchtling ist. Doch meine Berufswünsche hatten eigentlich in ganz andere Richtungen gewiesen: Baggerfahrer, Kranwagenführer, Pilot und schließlich Astronaut. Als mir in der Grundschule Brille und Zahnspange verpasst wurden, hieß es, ich würde den strengen Auswahlkriterien der NASA nicht genügen können, und die hochfliegenden Pläne zerschlugen sich. So kamen meine Berufsziele alsbald wieder auf den Boden und gewannen mehrTiefgang: Fallschirmspringer, Baumkronenforscher, Archäologe oder Tiefseetaucher.
    Disneys Dschungelbuch war dann ein Erweckungserlebnis. Der Zeichentrickfilm machte tiefen Eindruck auf mich und irgendwann zwischen Star Wars, E.T., Die Wüste lebt und Zurück in die Zukunft stand für mich fest, dass Filmregisseur der ideale Beruf sei, da man hier alles Erdenkliche erleben konnte, ohne sich je auf einen einzigen Job festlegen zu müssen.
    Mich jahrelang mit Gesetzesbüchern und Paragraphen herumzuschlagen, um in einem Gerichtssaal zu arbeiten, klang für mich ziemlich absurd. Für meine Mutter wiederum war mein Gedanke, Regisseur zu werden, nicht gerade naheliegend. In meiner Familie gab es weit und breit keinen Filmemacher, und Künstler musste man im Stammbaum mit der Lupe suchen. Dagegen wimmelte es bei Sievekings nur so von Juristen. Sicherlich dachte meine Mutter auch an ihren Schwiegervater, der nach dem Krieg zum Bundesrichter aufgestiegen war. Auch ein Bruder meines Vaters arbeitete nebst Frau und Tochter als Richter. In den Augen meiner Mutter war mir die juristische Laufbahn quasi in die Wiege gelegt worden.
    Bis eines Tages zu Hause das Telefon klingelte und eine fremde Stimme sich bei ihr meldete. Es war die Marktleiterin einer Drogerie in der Fußgängerzone von Bad Homburg. Sie erklärte meiner Mutter, dass ihr Sohn beim Ladendiebstahl erwischt worden war. Gretel konnte das nicht fassen und beteuerte, dass es sich da um eine Verwechslung handeln müsse. Und obwohl ihr die Marktleiterin meinen vollen Namen sowie das Geburtsdatum nannte, blieb meine Mutter beharrlich dabei: »Das kann nicht mein Sohn sein.« Erst als ich selbst am Hörer kleinlaut meine Anwesenheit bestätigte, hörte Gretel auf zu widersprechen und erklärte nüchtern, sie werde sich sofort auf den Weg machen, um mich abzuholen.
    Eigentlich hatte ich längst Routine beim Stehlen von CDs in der Musikabteilung dieses Ladens entwickelt, aber diesmal hatte ich mich wohl zu sehr in Sicherheit gewiegt. Das Klauen verlangte schon einiges Geschick, denn die CDs hatten eine Diebstahlsicherung. Ein dünner Alustreifen war auf der Rückseite angebracht und löste beim Hinausgehen Alarm aus, wenn er nicht an der Kasse entfernt worden war. Aber was die Kassiererin konnte, konnte ich schon lange!
    Zu meiner Ausstattung gehörte eine alte, grüne Jägerjacke mit riesigen Innentaschen, die eigentlich für Kaninchen, Enten oder sonstige Beutetiere bestimmt waren. Meine Jagdgründe waren die Regale der Musikabteilung. Hatte ich mich für eine CD entschieden, tat ich so, als ob ich weiter suchte und löste heimlich den Streifen mit der Diebstahlsicherung ab, die ich auf den Boden warf. Die Beute wanderte in meine Jackentasche. Um nicht etwa dadurch aufzufallen, dass ich nach einem langen Besuch mit leeren Händen ging, hatte ich diesmal zwei billige CDs aus einem Sonderangebot gekauft. Gerade als ich mit pochendem Herzen die Ausgangstür des Ladens öffnen wollte, sprach mich ein grau gekleideter türkischer Herr Mitte 40 in gebrochenem Deutsch an: »Entschuldigung, aber darf ich mal Blick in Taschen werfen?«
    Ich reagierte
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