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Vergiss mein nicht (German Edition)

Vergiss mein nicht (German Edition)

Titel: Vergiss mein nicht (German Edition)
Autoren: David Sieveking
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mal eine kleine Auszeit von seiner Frau zu nehmen, und so versuchte ich, Gretel ins Schlepptau zu nehmen, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Doch sobald mein Vater aus ihrem Blickfeld war, fragte sie unentwegt: »Wo ist Malte? Wo ist mein Mann?«
    Außerdem war sie höchst besorgt, wie sie wieder nach Hause gelangen würde: »Ich hab überhaupt kein Geld, überhaupt kein Geld mehr.«
    Ich versuchte, sie so gut es ging zu beruhigen. Um uns herum suchten die Kinder nach Ostereiern. Meine Mutter dagegen suchte ihren Mann. Das gemeinsame Treiben mit den Kindern ließ sie nach einer Weile vergessen, was genau ihr fehlte, und auch sie fing an, neugierig Hecken und Zäune zu inspizieren.
    »Ich werde wieder Kind«, murmelte sie und drang in einen verwilderten Teil des Gartens vor. Ein paar Sonnenstrahlen brachen durch die Wolkendecke und beleuchteten ihr weißes Haar, das ihr Gesicht umwehte wie ein Heiligenschein, als sie vor einem dichten Gestrüpp haltmachte. Sie beugte sich zu einer Astgabel vor und holte ein kleines goldenes Osterei aus seinem Versteck. »Ich hab’s!«, triumphierte sie und steckte sich das Ei mitsamt der Verpackung in den Mund. Mir gelang es mit einiger Mühe, das Ei aus ihrem Mund und die Schokolade aus der Alufolie zu befreien. Doch jetzt hatte sie sich im Gestrüpp verfangen und machte keine Anstalten, wieder hervorzukommen.
    »Komm, lass uns zu Malte gehen!«, versuchte ich sie zu locken. Doch erst als ich ihr das Schokoladenei anbot, kamsie wieder hervor. Zur Belohnung bekam sie das Ei, das sie freudig verschlang, und ich fragte sie: »Wollen wir jetzt mal sehen, wo Malte ist?«
    »Ist das dein Freund?«
    »Das ist dein Mann.«
    »Nein, ist er nicht.«
    »Aber ihr habt doch geheiratet.«
    »Nein, haben wir nicht. Das glauben die Leute immer. Ich wollte aber nicht, weil das muss man dann immer bleiben.«
    Nach diesem Probedreh wusste ich, dass ich den Film mit meiner Mutter machen konnte. Ich wusste aber auch, dass die Zeit sehr knapp war, da sich ihr Zustand rapide verschlechterte. Im folgenden Sommer begannen wir mit dem Dreh, der in mehreren Etappen über ein Jahr verteilt stattfand. Da ich auch zwischen den Drehblöcken bei meinen Eltern wohnte, verbrachte ich in dieser Phase gut ein halbes Jahr bei ihnen. In der Gegenwart von Kamera-, Tonmann und mir, drei jungen Männern, die sich stark für sie interessierten, blühte meine Mutter richtiggehend auf.
    »Die beste Therapie für Gretel sind David und der Film!«, fand mein Vater.
    Eines Morgens vor Drehbeginn ging ich in das Zimmer meiner Mutter, um sie zu wecken.
    »Du bist das Kind, das ist prima!«, strahlte sie mich an. »Wie geht’s dir denn?«
    »Gut!«
    »Das ist schön. Du bist jemand, dem gefällt, was er macht, und ich weiß nichts Neues, was ich nicht wusste.«
    Ihr war zwar nicht klar, was wir vorhatten, aber das schien ihr nichts auszumachen. Immer wieder fragte sie beim Drehen neugierig, wer denn eigentlich die beiden Herren mit denGeräten in den Händen seien und warum sie denn so ernst dreinblickten.
    »Guck mal, hinter dir ist einer!«, warnte sie mich vor dem Kameramann. Sehr interessant fand sie auch das Mikrofon mit dem grauhaarigen Windschutz, das an der langen Tonangel hing:
    »Was ist denn das für ein Tier?«, wunderte sie sich und streichelte das flauschige Mikro. Wenn der Tonmann versuchte, ihr das an der Angel hängende Mikrofon von oben zu nähern, hatte sie Angst, das behaarte ›Viech‹ könne auf sie herabfallen.
    Einmal betrachtete sie den Tonmann mitleidig, der seine Angel zu ihr ausgestreckt hielt und bemerkte: »Oh je, der Mann ist ja ganz müde.«
    Als wir dann versuchten, ohne Tonmann zu drehen, um für weniger Ablenkung zu sorgen, wurde es auch nicht einfacher. Da ich nun die Tonaufnahmen machte und nicht mit der Ausrüstung im Bild stehen wollte, versuchte ich, einen Platz hinter der Kamera zu finden. Sobald meine Mutter aber mein vertrautes Gesicht sah, versuchte sie, in meine Nähe zu gelangen. So entstanden zahlreiche Aufnahmen, in denen die Kamera ihr so lange hinterher schwenkte, bis ich nicht weiter vor ihr zurückweichen konnte und sie mich mit den Worten »Ich will dich haben« in die Arme schloss, während ich versuchte, ein saubere Tonaufnahme zu machen. Dabei hatte sie ermunternde Worte für mich: »Das gefällt mir so, was du machst und wie du es machst. Das macht einfach Spaß. Da hätte ich gerne noch mehr. Mach’ ruhig weiter!«
    Es war allerdings nicht so einfach, weiterzumachen,
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