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Vergiftet

Vergiftet

Titel: Vergiftet
Autoren: Thomas Enger
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mit der flachen Seite des Spatens. Hagen atmet tief und kontrolliert, bevor er zu arbeiten beginnt. Erst fünfzehn Herzkompressionen, dann zwei Beatmungen. Er wiederholt die Maßnahme mehrmals, kann Juul aber nicht ins Leben zurückholen. Sirenen nähern sich. Hagen fährt mit seinen verzweifelten Wiederbelebungsversuchen fort, aber Henning Juul liegt mit geschlossenen Augen im prasselnden Regen. Sein Gesicht sieht beinahe friedlich aus, denkt Brogeland.
    Laute Motorengeräusche nähern sich und halten direkt neben ihnen an.
    Rufe und Befehle ertönen, ein Sanitäter steigt in das Loch, um die Rettungsversuche zu übernehmen. Hagen erhält den Befehl, aus dem Grab zu klettern, damit Platz für die anderen Sanitäter ist. Schwer atmend stellt Hagen sich neben Brogeland und starrt gebannt auf die Rücken der Sanitäter. Hinter ihnen wird eine Trage bereit gemacht. Brogeland tritt einen Schritt zur Seite und stößt dabei Nora an, die, ohne zu blinzeln, an ihren Fingernägeln kaut.
    Dann tut sich etwas unten in dem Loch. Einer der Sanitäter richtet Henning Juul auf. Und er hustet, erst tief unten in den Bronchien, dann weiter oben im Hals. Sein Gesicht verzerrt sich. Eine Hand stützt seinen Rücken. Er bleibt vornübergebeugt sitzen, während ihm Speichel und nasse Erde aus dem Mund laufen. Oben am Rand des Grabes schluchzt Nora auf und schlägt die Hände vors Gesicht. Dann schließt sie die Augen.
    116
    Fünf Tage später
    Alles, was im Laufe des heißen, trockenen Spätsommers seine Farbe verloren hat, blüht jetzt wieder auf. Henning Juul bleibt vor dem Krankenhaus stehen. Vor wenigen Tagen lag er selbst noch als Patient im Ullevål. Die Ärzte wollten ihn nicht gehen lassen, solange sie sich nicht ganz sicher waren, dass es keine Komplikationen gab. Die Röntgenbilder zeigten einen Schädelbruch, aber keinerlei Anzeichen einer Einblutung. Andernfalls hätten sie operieren müssen, um den Druck auf sein Hirn zu vermindern und so sein Leben zu retten.
    Wenn Emil Hagen und die Rettungssanitäter nicht so schnell reagiert hätten, wäre er jetzt tot. Im Nachhinein hat Henning erfahren, dass sie ihn ohne Nora und Bjarne niemals so schnell gefunden hätten.
    Mit Ausnahme der ersten Nacht, die er im Krankenhaus verbracht hat, ist er mehrmals im Präsidium gewesen, um seine Aussage zu machen. Darüber hinaus hat er einige Artikel geschrieben, obwohl die Ärzte ihm sagten, dass er es langsam angehen solle.
    Henning betritt das Zimmer von Iver Gundersen und findet seinen Kollegen aufrecht im Bett sitzend vor. Seine Hände umklammern sein Handy, es sieht fast so aus, als nutzte er es als eine Art Lenkstange. Das Geräusch quietschender Reifen verstummt schlagartig, als er Henning in der Tür entdeckt.
    »Hallo!«, ruft Iver munter und wirft das Handy beiseite. »Wenn das nicht the man of the hour ist , auferstanden von den Toten?«
    Henning lächelt. Die Bandagen um Ivers Kopf sind verschwunden, aber das Gesicht ist immer noch geschwollen und leuchtet in den schwedischen Landesfarben. Seine Bewegungen wirken aber frischer und wacher.
    »Wie geht es dir?«, fragt Henning und setzt sich.
    »Das Gleiche sollte ich dich wohl fragen.«
    »Mir geht’s gut«, sagt Henning. »Mein Kopf dröhnt nur noch ein bisschen.«
    »Ich gehe langsam vor die Hunde«, antwortet Iver. »Ich werde hier drinnen noch wahnsinnig. Ich bin das echt nicht gewohnt, weißt du. Fahre nur noch Autorennen.«
    Henning lächelt.
    »Aber los, erzähl schon! Ich hatte schon gestern oder vorgestern mit dir gerechnet. Warum kommst du erst heute?«
    »Es gab viel zu tun.«
    »Ja, das habe ich gesehen, verdammt!«, sagt Iver und hebt sein Handy hoch. »Jetzt ist der Drachen ja wohl endlich zufrieden, nicht wahr? Oder jammert sie noch immer, dass wir eigene Sachen brauchen?«
    Henning lächelt wieder. »Nein, in den letzten Tagen war sie ganz nett. Ich soll dich übrigens grüßen.«
    »Hm, jetzt red schon! Ich sterbe hier vor Langeweile!«
    »Was willst du denn wissen?«
    »Alles.«
    Henning lacht.
    »Ich habe von dem Schlüssel zu Petter Holtes Bude gelesen und weiß auch über die Sache mit den Uhren Bescheid, aber ich habe noch keine Ahnung, wie Gunhild Dokken Jocke Brolenius umgebracht hat, und das würde ich schon gerne wissen. Ich meine – ein Mädchen gegen so einen knallharten Kerl? Vom Setting her sollte sie da ziemlich schlechte Karten haben, auch wenn sie noch so wütend war?«
    Henning macht es sich auf seinem Stuhl bequemer. »Gunhild Dokken ist vor
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