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Verführung auf Burg Kells (German Edition)

Verführung auf Burg Kells (German Edition)

Titel: Verführung auf Burg Kells (German Edition)
Autoren: Juliet Landon
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abgezogen, in dem das Wappen der Moffats eingemeißelt war. Die meisten anderen Räume der Burg waren das ganze Jahr über kalt und feucht. Ebony liebte es, sich in die behagliche Abgeschiedenheit ihres kleinen Reiches vom Lärm der Bewohner zurückzuziehen. Nein, über mangelnde Bequemlichkeit konnte sie sich nicht beklagen und wäre lieber hier oben geblieben, statt sich unten zu zeigen und gezwungen zu sein, ihre Missbilligung über das schändliche Treiben ihres Schwiegervaters hinter einem starren Lächeln zu verbergen.
    Andererseits wollte sie Sam nicht allzu lange unbeaufsichtigt lassen, mahnte sich an ihre Pflicht und stand seufzend auf. Sie schüttelte die Grashalme aus einem achtlos hingeworfenen nassen Tuch und breitete es auf einer Truhe zum Trocknen aus. Dann drehte sie ihr feuchtes Haar zu einem Knoten und steckte ihn in ein golden durchwirktes Netz, das sie ohne große Sorgfalt mit Nadeln am Hinterkopf befestigte. Auf Castle Kells legte niemand viel Wert auf gepflegtes Erscheinen. Wer, abgesehen von ein paar Damen des schottischen Hochadels, kümmerte sich in diesen Krisenzeiten schon um so nichtige Dinge wie Eleganz und modischen Firlefanz? Nach einem letzten prüfenden Blick durch ihre Kemenate raffte sie die Röcke und stieg die steilen Stufen der Wendeltreppe nach unten.
    Auf ihrem Weg durch die langen, schmalen Flure, nur von ein paar Fackeln in Wandhaltern erleuchtet, sah sie niemanden, und sie beschleunigte bangen Herzens ihre Schritte. Obwohl Sir Joseph mit etwa dreißig Männern losgezogen war, hätten ihr auf dem Weg zur Halle zumindest ein paar Mägde und Diener begegnen müssen. In der Fensternische, die den Burghof überblickte, stand nicht wie üblich ein Wachtposten. Sie spähte durch die Schießscharte, die so hoch angebracht war, dass sie nur den Wachturm über dem Burgtor sehen konnte, wo ein Bogenschütze im Begriff war, auf ein Ziel unten im Hof anzulegen. Bevor er den Pfeil abschießen konnte, riss er die Arme hoch und fiel hintenüber. Aus seiner Kehle ragte ein Pfeil.
    „Ein Überfall!“ hauchte Ebony tonlos. „Räuber! Gott steh uns bei.“ Plünderer. Aufständische Grenzrebellen. Diebe und Mörder. Gnadenlose Zerstörer. Wie waren sie in den Burghof gedrungen? Und wo war Sam, ihr geliebter Sohn? Das Entsetzen schnürte ihr die Kehle zu. Plünderer hatten ihren Robbie vor drei Jahren getötet. Sie durfte nicht zulassen, dass sie ihr nun auch den Sohn nahmen.
    Mit gerafften Röcken rannte sie los, stürmte durch offene Torbögen und Treppen hinunter, bis sie die große Halle im ersten Geschoss erreichte. Atemlos, mit klopfendem Herzen stieß sie die Tür neben dem Podest mit der Hochtafel auf, die mit Silbertabletts, Löffeln und Messern zum Mahl gedeckt war. In Gruppen zusammengedrängt standen die verängstigten Burgbewohner da, bewacht von schwer bewaffneten Männern mit drohenden Mienen.
    Ebony drängte sich durch die Menge, denn sie hatte nur ein Ziel vor Augen. „Lasst mich durch!“ schrie sie. „Lasst mich durch! Wo ist mein Kind? Sam!“ Ihre Schreie gellten durch die totenstille Halle. Sie kämpfte sich an Männern vorbei, die sich ihr in den Weg stellten, stieß sie mit ungeahnter Kraft beiseite, suchte verzweifelt nach Sams Kindermädchen Biddie, und ihr wilder Blick irrte über fremde und bekannte Gestalten gleichermaßen.
    Am entfernten Ende der Halle in der Nähe des mannshohen Kamins, abseits von der Menge, stand eine Gruppe fremder Männer, die beim Ansturm der schreienden Frau die Köpfe wandten. Ebony entdeckte Biddies weiße Haube, dann ihr verzerrtes Gesicht.
    In ihrem Aufschrei lag all ihre Angst und ihr Entsetzen, ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt zu haben. „Herrin!“
    Jäh wurde Ebony aufgehalten, als eine starke Männerhand ihren Arm umfing und sie herumriss. Bevor der Mann wusste, wie ihm geschah, holte sie aus und schlug ihm mit voller Wucht ins Gesicht, ein Schlag, der in der lähmenden Stille hallte wie ein Peitschenhieb. „Lass mich los, du Grobian!“ rief sie. „Mein Kind … wo ist mein Kind?“
    Die Männer traten beiseite und ließen Biddie durch. Ein hoch gewachsener, breitschultriger Mann folgte ihr auf den Fersen, dessen Augen sich einen flüchtigen Moment vor Erstaunen weiteten. „Diesen Empfang haben wir eigentlich nicht erwartet, Hugh“, sagte er seelenruhig zu dem Mann, auf dessen linker Gesichtshälfte sich Ebonys Fingerabdrücke rot abzeichneten. „Aber ein interessanter Auftakt, wie?“
    Ebony, die seine Worte nicht
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