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Verfuehrer und Rebell Horst Buchholz - Die Biographie

Verfuehrer und Rebell Horst Buchholz - Die Biographie

Titel: Verfuehrer und Rebell Horst Buchholz - Die Biographie
Autoren: Werner Sudendorf
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»nicht-arische« Kinder in der Gruppe versteckten. Buchholz musste nun auch mit Gewehr und Handgranaten an Kriegsübungen teilnehmen. »Auf den Ruf ›Tiefflieger!‹ mussten wir in den Straßengraben springen, auf den Ruf ›Panzer von rechts!‹ uns in den Acker werfen. Dann aufspringen und den Acker rennend überqueren, bis man sich wieder auf den Ruf ›Panzer von links!‹ in den Dreck wirft. Dann bis zum Ackerrand robben. Schließlich marschiert alles wieder nach Hause – natürlich singend.« 8
    Im Januar 1945 wurde Buchholz mitgeteilt, dass er als Einziger unter allen Kindern für die Napola (Nationalpolitische Erziehungsanstalt) ausgewählt worden war. Bevor er in die Schule verlegt werden konnte, wurde die Kinderkaserne aufgelöst; über Prag sollte es zurück nach Deutschland gehen. Mit 900 anderen Kindern bestieg er im Mai 1945 einen Zug nach Passau. Kurz vor der Grenze wurde der Zug von amerikanischen Jagdfliegern mehrfach beschossen. Die Kinderrannten in Todesangst aus dem Zug, ein Lehrer rief ihnen zu, sich flach auf den Boden zu werfen; der Lehrer wurde tödlich getroffen, auch Hunderte von Kindern wurden getötet. Buchholz erinnerte sich in Gesprächen immer wieder mit Entsetzen an dieses Erlebnis; in einem der Jagdflieger konnte er das Gesicht eines farbigen Piloten erkennen, das ihn noch lange in den Träumen verfolgte. Die Überlebenden machten sich auf den Weg zum nächsten Bauernhof. Deutsche und amerikanische Soldaten beschossen sich noch immer; die Gruppe musste durch ein Kornfeld robben. Nachdem die Kinder in einem Schulhaus Unterschlupf gefunden hatten, stellten Erwachsene im Mai 1945 einen Flüchtlingstreck zusammen. Als Proviant teilten sich acht Personen pro Tag einen Laib Brot. Buchholz bekam von einem mitleidigen Bauern einen kleinen Tiegel Schmalz geschenkt; als er nachts vor Hunger aufwachte, sah er, wie ein Lehrer sein Schmalz aufaß. Am nächsten Tag trennte sich Buchholz von den Flüchtlingen. Gemeinsam mit einem anderen Jungen aus Berlin packte er morgens um fünf seine Sachen, und die beiden machten sich allein auf den Weg. Statt auf den Straßen gingen sie nachts an Eisenbahnschienen entlang; die generelle Richtung hieß Norden. »Wir sind von Ort zu Ort getigert, haben gehungert und haben gestohlen. Bauern haben uns Steine nachgeworfen, Hunde haben uns gebissen.« 9 Doch es gab auch Erlebnisse, die Mut machten. Eine Bäuerin sah die beiden Jungen, schnitt von einem Brot zwei Scheiben, bestrich sie mit Butter und Kirschmarmelade und reichte sie ihnen. Nach weiteren drei Kilometern Wanderschaft sahen sich die beiden wortlos an, liefen zur Bäuerin zurück und bekamen noch ein Brot. Kirschmarmelade hatte für Buchholz seit diesem Moment immer einen besonderen Geschmack. Sie begegneten LKWs mit deutschen Kriegsgefangenen; einamerikanischer Panzer versperrte ihnen den Weg. Ein freundlicher Farbiger mit mehreren Reihen von Armbanduhren am Arm stieg aus und gab ihnen Corned Beef. Die weißen Innenseiten der schwarzen Hände – ein weiteres unauslöschliches Erinnerunsgsbild für Buchholz.
    Unterwegs schloss sich ihnen ein weiterer Flüchtlingsjunge an; als sie entdeckten, dass er verlaust war, ließen sie ihn zurück. Sie trafen freundliche und abweisende Menschen, schliefen am Tag auf dem Feld oder in Heuschobern und schafften es, sich bis nach Magdeburg durchzuschlagen. Nachts überwachte die russische Armee die Elbe mit Scheinwerfern; oft hörte man Schüsse, mit denen Flüchtlinge, die auf die andere Seite des Ufers schwimmen wollten, gestoppt wurden. Als sich die beiden Jungen unter einem Zug versteckten, wurden sie aufgegriffen – sie sahen inzwischen völlig zerlumpt aus – und in das Rot-Kreuz-Lager Salzelmen nahe Magdeburg gebracht. Das war im Spätsommer 1945. In brütender Hitze mussten sie dort auf einem Feld Zwiebeln zupfen. Die kleinen Zwiebeln mussten entfernt werden, damit die größeren besser wachsen konnten. Einer der Aufseher verging sich wiederholt an den Jungen. In seinem unveröffentlichten Memoirenfragment spricht Buchholz von »Erlebnissen« – man darf schon davon ausgehen, dass der Elfjährige nicht von selbst an Sex mit Männern gedacht hat.
    An allem herrschte Mangel, jeder versuchte etwas zu »organisieren«; Buchholz ging zu einer Apotheke und erbettelte sich Süßstoff. Er selbst machte sich nichts daraus; weil er aber wusste, dass auch Zucker Mangelware war, begann er mit Süßstoff zu handeln. Die beiden Jungen, die es aus Bayern bis nach
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