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Verführer oder Gentleman? (German Edition)

Verführer oder Gentleman? (German Edition)

Titel: Verführer oder Gentleman? (German Edition)
Autoren: Helen Dickson
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Schönheit.
    Unfähig, ihren Blick von dem Paar loszureißen, starrte Juliet hinüber. Noch nie hatte sie ein so dekadentes, so schändliches Verhalten beobachtet. Ihr stockte der Atem – nicht, weil ihr sittliches Empfinden verletzt wurde, sondern weil sie dergleichen nie erlebt hatte und das schmerzlich bedauerte.
    Und dann wurde sie von einem weiteren seltsamen Gefühl erfasst. Niemals hatte sie jemanden gehasst. Die Intensität ihres Abscheus jagte ihr beinahe Angst ein. Hastig wandte sie sich von der schamlosen Frau ab und betrachtete ihre behandschuhten Finger, die sie so fest ineinandergeschlungen hatte, dass sich die Knöchel unter dem Stoff abzeichneten.
    Jetzt sah sie nicht mehr, was am Tisch geschah. Stattdessen registrierte sie, wie sie selber wirken musste – in diesem Salon voller modisch gekleideter Menschen, völlig durchnässt, in schmutzigen Schuhen und einem zerrissenen Umhang. Nicht einmal eine Landstreicherin würde schlimmer aussehen.
    Unvermittelt glaubte sie, sich in jemand anderen zu verwandeln – in eine Fremde voller hemmungsloser Gefühle, die zu der Blondine stürmen, das spöttische Lächeln aus ihrem Gesicht schlagen und sie zu Boden schleudern würde … Und alle würden zuschauen.
    Glücklicherweise erschien in diesem Moment der Butler. Pearce, für gewöhnlich der Inbegriff würdevoller Gelassenheit, knöpfte mit bebenden Fingern seine Weste zu. Die hatte er geöffnet, um mit der langjährigen Köchin Mrs Reed eine Ruhepause vor dem Küchenherd zu genießen. Wenigstens für ein paar Stunden, hatte er gehofft, während die jungen Gentlemen sich sinnlos betranken. Wie üblich, wenn sie einen Tag lang auf der Jagd gewesen waren.
    „Niemand hat an der Haustür Dienst getan, Pearce“, erklärte Dominic in scharfem Ton, „und Miss Lockwood musste sich selbst hereinlassen.“
    Verwirrt gestattete Pearce seinen Gesichtszügen den Ausdruck ungläubigen Staunens, allerdings nur kurzfristig, ehe er angemessene Bestürzung bekundete. „Das tut mir sehr leid, Euer Gnaden, und ich muss mich entschuldigen.“
    „Bitten Sie lieber Miss Lockwood um Verzeihung, Pearce. Führen Sie die junge Dame in ihr Zimmer und sorgen Sie dafür, dass sie alles hat, was sie braucht.“
    „Sehr wohl, Euer Gnaden, Miss Lockwoods Zimmer wurde vorbereitet.“
    Dominic wandte sich wieder zu seiner neuen Angestellten. „Gute Nacht, Miss Lockwood. Hoffentlich können Sie gut schlafen. Morgen früh erwarte ich Sie in der Bibliothek. Um Punkt neun Uhr.“
    „Natürlich, Euer Gnaden.“
    Der Butler nickte Juliet zu. „Wenn Sie mir folgen würden, Miss …“
    „Ja, danke. Dann ersuche ich die Gentlemen, mich zu entschuldigen.“ Ihre Stimme klang leise, kühl und ein bisschen verächtlich. Sekundenlang schweifte ihr Blick über die jungen Männer hinweg, ehe sie den Salon verließ.
    Pearce durchquerte bereits die Halle. Als die Tür ins Schloss fiel, herrschte zunächst tiefe Stille.
    Dann ertönte schallendes Gelächter.
    „Heiliger Himmel, Dominic!“, rief Sedgwick laut genug, sodass Juliet jedes Wort verstand. „Offenbar droht dir keine neue Versuchung. Das arme Mädchen ist hässlich wie die Nacht und …“
    „Das weiß ich, Sedgwick“, unterbrach ihn der Duke, „so reizlos wie eine von Farmer Shepherds Vogelscheuchen.“
    Auch er begann zu lachen, und Juliet kochte vor Wut.
    Eine Vogelscheuche!
    Noch nie war sie so gedemütigt worden.
    Weil sie nichts mehr hören wollte, eilte sie hinter Pearce her – unfähig, zusammenhängende Gedanken zu fassen. Sie fühlte sich leicht benommen. Immer wieder gellten in ihren Ohren jene grausamen Worte, scherzhaft von dem Mann ausgesprochen, für den sie arbeiten würde.
    Ihr Zorn begann erst zu verebben, während der Butler sie über einige Treppenfluchten und durch mehrere Korridore geleitete. Schließlich schien sich ein Nebelschleier vor ihren Augen aufzulösen. Mit klarem Kopf schätzte sie ihre Situation ein. Sie brauchte das Geld, das sie in Lansdowne House verdienen würde. Diese gut bezahlte Stellung durfte sie nicht aufgeben. Gewiss, sie würde eine heftige Abneigung gegen ihren Arbeitgeber hegen, solange sie sich unter seinem Dach aufhielt.
    Gäbe es eine andere Möglichkeit, würde ich sofort wieder abreisen, dachte sie. Nein, sie musste sich zusammenreißen und gute Miene zum bösen Spiel machen, um ihrem Bruder zu helfen. Ein Schauer rann über ihren Rücken, und sie nieste geräuschvoll.
    Pearce drehte sich besorgt zu ihr um. „O Gott, Miss
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