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Verflucht himmlisch

Verflucht himmlisch

Titel: Verflucht himmlisch
Autoren: Bettina Belitz
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Bestimmung verlangt es von mir.«
    »Ich habe auch eine Entscheidung getroffen«, erwiderte ich hustend. Ja, das hatte ich. Und sie war endgültig.
    »Gut. Meine zuerst. Ich befehle dir hiermit, mit dem Parkour aufzuhören. Für immer. Es geht nicht anders. Es ist zu gefährlich.«
    Ich schüttelte fassungslos den Kopf.
    »Niemals«, zischte ich. »Niemals werde ich mit etwas aufhören, das sich so gut anfühlt, nur damit du Punkte bei deiner dämlichen Verwandtschaft sammelst! Das kannst du abhaken!«
    »Du musst, Luzie«, beharrte Leander. Ich zerrte an meinen gefesselten Fäusten und es gelang mir, eine Hand herauszuziehen. Sofort begann ich, mit klammen Fingern den Knoten zu lösen. Leander unternahm nicht den geringsten Versuch, mich daran zu hindern. Noch immer schaute er mich an, ohne zu blinzeln. Es war ein tiefer, lähmender Blick.
    »Seppo ist nicht gut für dich. Du bildest dir da was ein. Du bist für ihn nicht mehr als eine kleine Schwester. Ständig willst du vor ihm angeben und Eindruck schinden und vergisst dabei, was du kannst und was nicht. Du …«
    »Seppo ist nett zu mir! Er mag mich! Ich kenne ihn seit dem Kindergarten – und was weißt du denn schon von Freundschaft!?«, rief ich wutentbrannt und zog die andere Hand aus dem Tuch. Leanders Worte bohrten sich brutal durch mein Herz. Wie eine kleine Schwester. Vor Seppo angeben. Nein, das konnte nicht sein.
    »Herrgott im Himmel, was willst du mit so einem blöden Pizzabäcker?«, fragte Leander kalt.
    »Na, immer noch besser als ein durchgeknallter SCHUTZENGEL!«, schrie ich und riss mich von der Abwasserleitung los. In der nächsten Sekunde trat ich gegen die rechte Mülltonne, einmal, zweimal, bis sie sich zur Seite bewegte. Ich quetschte mich fluchend durch den Spalt. Leander machte keine Anstalten, mich aufzuhalten. Er wusste genau, dass ich nicht mehr rechtzeitig in die Walzmühle kommen würde.
    »Ich bin kein Schutzengel«, sagte Leander leise, aber so klar, dass seine Stimme in der gesamten Gasse widerhallte.
    »Da hast du verdammt recht«, erwiderte ich. »Du beschützt nichts und niemanden. Du nervst nur. Und deshalb habe ich auch eine Entscheidung getroffen. Verschwinde! Lass mich allein! Du zerstörst mein Leben! Du redest immer von Beschützen und Retten und diesem ganzen Mist, aber weißt du, was du in Wirklichkeit tust?«
    Leander blieb ruhig stehen und schaute mir nach wie vor tief in die Augen. Der Wind wehte ihm die Haare in die Stirn. Ein bläulicher Schatten lag auf seinen Wangenknochen. Ich holte keuchend Luft, um weiterschimpfen zu können.
    »Du beschützt mich nicht, nein, du machst mich unglücklich. Du nimmst mir das, was ich liebe – meinen Sport. Verstehst du, ich liebe das! Es gibt mir ein gutes Gefühl! Ich bin gerne mit den Jungs zusammen und laufe über die Dächer und hänge im Park ab. Ich mag es, mich zu bewegen und zu springen und Salti zu schlagen, zu balancieren! Mir geht’s beschissen, weil ich das nicht mehr kann. Meine Freunde schämen sich für mich! Ich lache kaum noch seitdem. Ich kann nicht mehr richtig schlafen. Ich hab Angst, dass ich Seppo verliere. Ich bin müde und ängstlich und traurig, und das war ich vorher fast nie!«
    Warum antwortete er nicht? Warum sagte er so gar nichts dazu?
    »Weißt du was, Leander: Es ist nicht Seppo, der mir schadet. Du schadest mir. Du machst mich kaputt.« Ich wimmerte auf, weil erneut ein Stich durch mein Ohr fuhr, und konnte nicht verhindern, dass mir die Tränen über die fiebrigen Wangen tropften. »Verschwinde endlich. Hau ab! Bitte. Ich will mein altes Leben zurück.«
    »Nein. Niemals.« Fest sah er mich an.
    Ich wollte verzweifelt davonrennen, als ich plötzlich wusste, was ich sagen musste. Es war vielleicht gemein, und ja, vielleicht war es nicht fair, doch es war die einzige Möglichkeit. Vor allem aber war es die Wahrheit. Schon bevor ich meine Worte aussprach, ergriff mich ein eisiger Schauer, der mich am ganzen Körper schüttelte.
    »Du tust mir nicht gut, Leander. Wenn ich nicht trainiere, verliere ich meine Kraft und meine Beweglichkeit und meine Ausdauer. Ich werde zum Treffen mit David gehen. Das weißt du. Trotzdem hältst du mich jeden Tag vom Trainieren ab. Und damit«, ich senkte meine Stimme, die sowieso nur noch ein heiseres Raunen war, »damit lieferst du mich dem Meister der Zeit aus.«
    Leander presste die Lippen zusammen und ich sah, dass auch er zitterte. Seine Fäuste verkrampften sich. Er atmete tief ein und aus. Er fürchtete
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