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Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)

Titel: Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
Autoren: Michael Böckler
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streichelte ihn. Plötzlich war der Jeton weg. Alessandro kannte die kleinen Tricks seines Chefs, auch wenn er nie herausbekam, wie sie funktionierten.
    Der Principale betrachtete seine leeren Handflächen und machte eine hilflose Geste. »Warum zahlt dieser Stronzo seine Schulden nicht? Wahrscheinlich war ich wieder zu großherzig, zu langmütig. Und jetzt denkt er, er könne sich ewig Zeit lassen. Alessandro, das missfällt mir. Und wenn ich an die Summe denke, dann werde ich unglücklich. Madonna mia, auch meine Nächstenliebe hat ihre Grenzen. Du verstehst mich, Alessandro? Bitte sag, dass du mich verstehst.«
    »Natürlich, Principale. Ich verstehe Sie.« Alessandro nickte erneut.
    »Sehr schön. Dafür liebe ich dich, Alessandro.«
    Der alte Herr machte eine kurze Pause. Plötzlich hatte er wieder den Jeton in der Hand, hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger, gab ihm einen Stoß und ließ ihn um die Achse kreiseln.
    »Ich darf gar nicht daran denken, wie viel mir dieser Stronzo schuldet. Alessandro, du weißt, von wem ich spreche?«
    »Natürlich, Principale, ich weiß, wen Sie meinen.«
    »Allora, ich glaube, es ist an der Zeit, dass du unserem Freund einen Höflichkeitsbesuch abstattest. Richte ihm einen schönen Gruß von mir aus. Und lass dir zumindest eine angemessene Anzahlung in bar aushändigen. Ich denke da an eine Größenordnung von dreihundert Millionen Lire. Und den Rest, lieber Alessandro, bitte mache ihm diesen Punkt unmissverständlich klar, den Rest erwarte ich in spätestens einem Monat. Zusätzlich zwanzig Prozent Zinsen für die Fristeinräumung. Ich denke, das ist mehr als fair.« Der Principale machte eine schnelle Bewegung, und der Jeton war wieder verschwunden. »Buona fortuna, Alessandro. Enttäusche mich nicht!«
    »Nein, Principale, das habe ich doch noch nie.«
    »Stimmt, das hast du noch nie.«
    Alessandro stand auf, verbeugte sich und zog sich zurück. Er wusste, was er zu tun hatte.

5
    L aura Zanetti bog mit ihrem kleinen Fiat in die Einfahrt und blieb vor dem schmiedeeisernen Tor stehen. Sie stieg aus und streckte sich. Der Job als Fremdenführerin war anstrengender als gedacht. Hoffentlich klappte es bald mit einer Tätigkeit bei einem der Museen, wo sie sich beworben hatte. Laura sah nach oben. Kein Wölkchen trübte den Himmel. Es war heiß und windstill. In einer Stunde erst würde es dunkel werden. Laura beschloss, ihre Sachen schnell ins Haus zu bringen, die alte Dame zu begrüßen und dann noch kurz hinunter an den See zu fahren, um ein Bad zu nehmen. Sie öffnete den rechten Flügel des Tors nur gerade so weit, dass sie mit ihrem »Seicento« durchfahren konnte. Vor dem Seiteneingang der efeubewachsenen Villa hielt sie, machte die Tür zu ihrem Apartment auf, stellte ihre beiden Taschen ab und öffnete die Fensterläden. Dann lief sie durch den Garten um das Haus herum nach oben.
    »Signora Balkow, ich bin wieder da. Wo sind Sie? Signora?«
    Die große Terrassentür der Villa stand offen. Die alte Dame konnte nicht weit sein.
    »Signora. Ich bin’s, Laura.«
    Heute war Donnerstag, da hatte die Haushälterin frei. Vielleicht machte Signora Balkow gerade ein Nickerchen auf dem Wohnzimmersofa. Laura betrat das Haus.
    »Signora?«
    Sie sah, dass sich auf dem Grammofon eine Schallplatte drehte. Der Tonarm sprang auf der letzten Rille immer vor und zurück. Laura tat ihn in die Halterung und schaltete das Gerät aus. Was hatte die alte Dame aufgelegt? Sie stoppte die langsamer werdende Platte mit dem Finger und musste schmunzeln. Natürlich, die Arien von Verdi, eine der Lieblingsplatten von Signora Balkow. Wo steckte sie nur? Auf dem Sofa war sie jedenfalls nicht. Laura schaute in der Küche nach, in der Bibliothek, in den Zimmern im ersten Stock, im Schlafzimmer. Sie fing an sich Sorgen zu machen. Wieder draußen auf der Terrasse, lief sie vor zum Geländer, von wo aus man nicht nur weit über den See, sondern auch auf den darunter liegenden Teil des Grundstücks sehen konnte.
    Laura hielt die Hände wie einen Trichter vor den Mund. »Signora!«
    Sie fühlte es, irgendetwas war passiert.
    Sie lief am niedrigen Mäuerchen entlang zurück zum Haus. Eher zufällig warf sie dabei einen Blick hinunter auf das Rosenbeet, das die alte Dame so liebte, weil es noch von ihrem verstorbenen Mann angelegt worden war.
    Ruckartig blieb sie stehen. Da unten, zwischen den Rosen, im hellen Kleid, die schlohweißen Haare …
    Laura schlug die Hände vors Gesicht.
    »Dio mio, Oddio, Santo
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