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Verderbnis

Titel: Verderbnis
Autoren: Mo Hayder
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gegenüber, setzte sich und lächelte ihr zu. Sie sah ihn an und zuckte kurz mit den Mundwinkeln. Vom Weinen waren auf ihren Wangen Äderchen geplatzt. Ihre rot geränderten Augenlider hingen schlaff herab. Manchmal sahen die Augen von Schädelverletzten so aus. Er würde sich bei der Familienbetreuerin erkundigen, woher die Tranquilizer stammten. Ob es im Hintergrund einen Arzt gab, oder ob Rose einfach die Hausapotheke geplündert hatte.
    »Morgen hat sie Geburtstag«, flüsterte sie. »Werden Sie sie zu ihrem Geburtstag nach Hause zurückbringen?«
    »Mrs. Bradley«, sagte er, »ich möchte Ihnen erklären, warum ich hier bin, und ich möchte es tun, ohne Sie zu erschrecken. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Mann, der Ihnen den Wagen gestohlen hat, in dem Augenblick, als er begriff, dass er einen Fehler gemacht hatte – dass Martha auf dem Rücksitz saß –, angefangen hat zu planen, sie wieder freizulassen. Vergessen Sie nicht, er hat ebenfalls Angst. Er wollte das Auto, aber keine Anklage wegen Kindesentführung zusätzlich zu der wegen Carjackings. So ist es immer in Fällen wie diesem. In meinem Büro gibt es Literatur darüber. Ich habe sie gelesen, bevor ich herkam, und ich kann Ihnen Kopien davon anfertigen lassen, wenn Sie wollen. Andererseits …«
    »Ja? Andererseits?«
    »Mein Dezernat muss den Fall als Kindesentführung behandeln, weil das in unserer Verantwortung liegt. Es ist völlig normal, und es bedeutet nicht, dass wir beunruhigt sind.« Er spürte, dass die Familienbetreuerin ihn beobachtete, während er redete. Er wusste, dass die Familienbetreuer manche Wörter mit roten Fähnchen markierten, wenn sie mit Familien zu tun hatten, die von einem Gewaltverbrechen betroffen waren. Deshalb benutzte er den Ausdruck »Kindesentführung« behutsam und sprach ihn in dem leichten, kaum hörbaren Tonfall aus, den die Generation seiner Eltern für ein Wort wie »Krebs« benutzt hätte. »Alle unsere Kennzeichenerkennungseinheiten sind informiert. Sie haben automatische Erkennungskameras, die auf allen größeren Straßen nach dem Kennzeichen Ihres Wagens suchen. Wenn er eine der Hauptstraßen in dieser Gegend benutzt, werden wir ihn entdecken. Wir haben zusätzliche Teams zur Anwohnerbefragung zusammengestellt und eine Pressemitteilung herausgegeben, wodurch die regionale und wahrscheinlich auch überregionale Berichterstattung praktisch garantiert ist. Ja, wenn Sie jetzt Ihren Fernseher einschalten, werden Sie es wahrscheinlich in den Nachrichten sehen. Ich habe veranlasst, dass einer unserer Techniker hierherkommt. Er braucht Zugang zu Ihren Telefonen.«
    »Für den Fall, dass jemand anruft?« Rose sah ihn verzweifelt an. »Wollen Sie das damit sagen – dass jemand uns anrufen könnte? Das klingt, als ob sie wirklich annehmen, sie ist entführt worden.«
    »Bitte, Mrs. Bradley, ich habe gemeint, was ich gesagt habe: Das alles ist reine Routine. Wirklich reine Routine. Denken Sie nicht, dass etwas Schlimmes dahintersteckt oder wir irgendwelche Theorien verfolgen, denn es gibt wirklich keine. Ich glaube nicht einen Augenblick lang, dass diese Ermittlung in der Zuständigkeit der Major Crime Unit bleiben wird, denn ich bin davon überzeugt, dass Martha morgen an ihrem Geburtstag heil und gesund wieder da sein wird. Trotzdem muss ich Ihnen ein paar Fragen stellen.« Er wühlte einen kleinen MP3 -Rekorder aus der Innentasche und legte ihn neben die Telefone auf den Tisch. Das rote Licht blinkte. »Was Sie jetzt sagen, wird aufgezeichnet. Wie schon einmal. Ist das okay?«
    »Ja. Es ist …« Sie ließ den Satz unvollendet. Nach einer kurzen Pause blickte sie Caffery mit einem flackernden, Nachsicht heischenden Lächeln an, als hätte sie nicht nur inzwischen vergessen, wer er war, sondern auch, warum sie hier alle am Tisch saßen. »Ich meine – ja. Es ist in Ordnung.«
    Jonathan Bradley schob Caffery einen Becher Tee hin und setzte sich neben Rose. »Wir haben darüber geredet und nachgedacht, warum wir noch nichts gehört haben.«
    »Es ist noch sehr früh am Tag.«
    »Aber wir haben eine Theorie«, sagte Rose. »Martha hat auf dem Rücksitz gekniet, als es passierte.«
    Jonathan nickte. »Wir wissen nicht mehr, wie oft wir es ihr verboten haben, aber sie tut es immer wieder. Kaum ist sie im Wagen, lehnt sie sich über den Vordersitz und spielt am Radio herum. Sucht einen Sender, der ihr gefällt. Wir haben uns gedacht, dass er vielleicht so schnell weggefahren ist, dass sie zurückgeschleudert
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