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Verderbnis

Titel: Verderbnis
Autoren: Mo Hayder
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Inspector hatte recht; die drei Stunden gingen über das hinaus, was die Statistik sagte, und das gefiel ihm nicht. Aber er war lange genug dabei, um mit solchen Ausnahmen zu rechnen, die es von Zeit zu Zeit gab. Mit Abweichungen, Regelwidrigkeiten. Ja, drei Stunden, das klang nicht gut, aber wahrscheinlich gab es einen einfachen Grund. Vielleicht versuchte der Kerl, weit genug wegzukommen, irgendeine Stelle zu finden, wo man ihn sicher nicht sehen würde, wenn er die Kleine absetzte.
    »Sie taucht wieder auf. Ich gebe Ihnen mein Wort.«
    »Wirklich?«
    »Wirklich.«
    Caffery knöpfte sich beim Hinausgehen den Mantel zu. Er hätte in einer halben Stunde Feierabend, und es gab ein paar Dinge, die er für den Abend in Erwägung gezogen hatte – ein Pub-Quiz des Police Social Club in der Bar in Staple Hill, eine Fleischtombola im Coach and Horses in der Nähe seines Büros, einen Abend allein zu Hause. Eine trostlose Auswahl. Aber nicht so trostlos wie das, was er jetzt tun musste. Denn jetzt musste er die Familie Bradley aufsuchen und mit ihr sprechen. Musste feststellen, ob es – abgesehen von einer statistischen Unregelmäßigkeit – noch einen Grund gab, weshalb ihre jüngere Tochter Martha noch nicht wieder da war.

2
    E s war halb sieben, als er in der Siedlung nahe dem Dörfchen Oakhill in den Mendips ankam, einer halbwegs schicken Wohnanlage für leitende Angestellte, die vor ungefähr zwanzig Jahren erbaut worden war, mit einer breiten Straße, die hier endete, und großen, mit Lorbeer- und Eibenhecken umgrenzten Grundstücken auf dem Hügelhang. Das Haus sah nicht aus, wie er es bei einem Pfarrhaus erwartet hätte. Er hatte sich ein einzelnes Gebäude vorgestellt, mit Glyzinen, einem Garten und steinernen Torpfosten, in die »The Vicarage« eingemeißelt war. Stattdessen sah er eine Doppelhaushälfte mit einer geteerten Einfahrt, dekorativ verkleideten Kaminen und PVC -Fenstern. Er hielt vor dem Haus und stellte den Motor ab. Dies war der Teil seiner Arbeit, bei dem er innerlich erstarrte: wenn er den Opfern gegenübertreten musste. Einen Moment lang erwog er, den Weg zur Haustür nicht zu betreten. Nicht anzuklopfen. Einfach umzukehren und zu verschwinden.
    Die polizeiliche Familienbetreuerin, die den Bradleys zugewiesen worden war, öffnete die Tür. Sie war eine große Frau um die dreißig mit einer glänzend schwarzen Pagenfrisur. Sie trug flache Schuhe unter einer weit ausgestellten Hose und hatte eine gebeugte Haltung, als wäre die Decke zu niedrig. Vielleicht machte ihre Größe sie befangen.
    »Ich habe ihnen gesagt, von welchem Dezernat Sie kommen.« Sie trat einen Schritt zurück, damit er eintreten konnte. »Nicht weil ich ihnen Angst machen wollte, sondern damit sie wissen, dass wir es ernst nehmen. Und ich habe ihnen gesagt, dass Sie noch nichts Neues wissen. Dass Sie nur noch ein paar Fragen stellen wollen.«
    »Wie nehmen sie es auf?«
    »Was glauben Sie?«
    Er zuckte die Achseln. »Stimmt. Dumme Frage.«
    Sie schloss die Tür und musterte Caffery eindringlich. »Ich habe von Ihnen gehört. Ich weiß Bescheid über Sie.«
    Es war warm im Haus, und Caffery zog den Mantel aus. Er fragte die Familienbetreuerin nicht, was sie über ihn wusste und ob es gut oder schlecht war. Er war es gewohnt, einem gewissen Typ Frau gegenüber wachsam zu sein. Irgendwie hatte er es geschafft, einen gewissen Ruf von seiner alten Stelle in London den weiten Weg bis hierher ins West Country mitzuschleppen. Das war ein Teil dessen, was dafür sorgte, dass er einsam blieb. Ein Teil dessen, was ihn veranlasste, sich unsinnige Dinge für seine Abende vorzunehmen, eine Fleischtombola zum Beispiel oder ein Pub-Quiz der Polizei.
    »Wo sind sie?«
    »In der Küche.« Mit dem Fuß schob sie eine Zugluftrolle vor den unteren Türspalt. Es war kalt draußen. Eisig. »Aber kommen Sie hier herein. Ich will Ihnen erst die Fotos zeigen.«
    Die Familienbetreuerin führte ihn in ein Nebenzimmer mit halb geschlossenen Vorhängen. Die Möbel waren von guter Qualität, aber schäbig. An einer Wand stand ein Klavier aus dunklem Holz, ein Fernseher war in einem Intarsienschrank untergebracht, und auf zwei verschossenen Sofas lagen Decken, die aussahen wie zusammengenähte alte Navajo-Webereien. Alles hier – Teppiche, Wände, Möbel – wirkte verschlissen von jahrelanger Benutzung durch Kinder und Tiere. Auf einem der Sofas lagen zwei Hunde, ein schwarz-weißer Collie und ein Spaniel. Beide hoben den Kopf und starrten Caffery
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