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Verdammt wenig Leben

Verdammt wenig Leben

Titel: Verdammt wenig Leben
Autoren: Ana Alonso , Javier Pelegrin
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nicht am anderen Ende der Leitung, sonst hätte sie selbstverständlich reagiert.
    Vielleicht war sie krank und ließ die Skripte automatisch von ihrem Telefon aus versenden. Oder sie hatte einen ihrer Hausroboter damit beauftragt. Das war schon ein paar Mal vorgekommen. Es war frustrierend, aber man musste auch kein Drama daraus machen. Er hatte genug Erfahrung, um ein neues Drehbuch auch ohne ihre Hilfe in einer knappen Stunde einzustudieren. Wenn eine Frage auftauchte, würde er Paul anrufen. Vielleicht konnte der den Kontakt zu Minerva herstellen. Im Moment war das Dringendste, das Storyboard durchzugehen und richtig zu verstehen, bevor er es auswendig lernte. Er konnte es kaum erwarten. Was hatte Minerva für sein Wiedersehen mit Alice wohl geschrieben?
    Er öffnete die Datei und blätterte sich rasch durch die Hologramme der Seiten, um sich einen Überblick zu verschaffen. Verblüfft hob er die Augenbrauen. Was war denn das? Wo war er selbst? Und Alice? Er konnte sich auf keinem einzigen Panel entdecken. Stattdessen waren da andere Personen, aber auf den ersten Blick hatte er keine einzige erkannt.
    Er kehrte zur ersten Seite zurück, entschlossen, sich die einzelnen Panels genauer anzusehen. Am häufigsten kam ein Mann mittleren Alters vor, mit wuscheligen, blonden Haaren und athletischer Statur. Sein aschblauer Pulli, der so eng war, dass sich alle Armmuskeln abzeichneten, brachte Jason zum Grinsen. Der Typ sah aus wie ein abgerissener Superheld … Wer konnte das sein? Er hatte das Gefühl, ihn irgendwo schon einmal gesehen zu haben, und das war gar nicht so abwegig. Wenn Minerva sich vertan und ihm aus Versehen das Skript eines anderen Klienten geschickt hatte, musste es sich um jemand Bekanntes handeln. Sie arbeitete nur für die Besten.
    Er machte sich ans Lesen der Dialogzeilen. Auf der Mitte der ersten Seite erfuhr er, dass der Blonde Edgar Frey hieß. Frey … Er sprach den Namen langsam und deutlich in sein Telefon. Innerhalb von Sekunden präsentierte ihm die Suchmaschine eine Liste von Links, die mit der Person zu tun hatten. Ein kurzer Blick genügte, um herauszufinden, um wen es sich handelte. Edgar Frey war ein herausragender Wissenschaftler, der für die Pharmaindustrie arbeitete, ein brillanter Typ, der mit seinen Entdeckungen in den letzten Monaten große Einschaltquoten erzielt hatte. Offenbar hatte er einen ultramodernen Impfstoff gegen die Neopocken entwickelt. Die Krankheit grassierte seit Monaten außerhalb der transparenten Welt, und viele befürchteten, sie könnte bis zu ihnen vordringen. Edgar Frey hatte sich vorgenommen, das zu verhindern, und er würde sein Ziel wohl erreichen. Sein synthetischer Impfstoff sollte demnächst an zweihundert Probanden getestet werden, und zwar in einer Show mit Livepublikum, für die man eigens eine Luftbühne gebaut hatte und die auf 142 Multimediakanälen gleichzeitig übertragen werden sollte. Ein beispielloser Erfolg in der Medienkarriere eines Wissenschaftlers. »Die gesellschaftliche Wahrnehmung der Wissenschaft wird nach Edgar Frey nicht mehr dieselbe sein«, bloggte ein Journalist über dessen kometenhaften Aufstieg.
    Unwirsch fuhr Jason mit der Hand durch die erste holografische Seite des Drehbuchs, als könnte er sie mit dieser Geste kaputt machen. Ein so grober Schnitzer unterlief Minerva zum ersten Mal. Ihm ein Storyboard zu schicken, das ihn gar nicht betraf … Wenn das der Produzent erfuhr, würde es Ärger geben. Einem Klienten irrtümlicherweise das Drehbuch eines anderen zu schicken, konnte schwerwiegende Folgen haben. Was würde mit Edgar Frey passieren, wenn Jason aus Berechnung oder nur zum Spaß dieses Skript ins Netz stellte, bevor die Sendung ausgestrahlt wurde? Die Zukunft dieses vielversprechenden Wissenschaftlers lag in seinen Händen und ein weniger anständiger Mensch würde diesen Trumpf ohne zu zögern ausspielen, um beim Produzenten eine Verbesserung seines Vertrags zu erzwingen oder sogar Minerva selbst zu erpressen.
    Aber das war nicht seine Art. Er wollte keine fremden Fehler ausnützen; er wollte nur sein richtiges Drehbuch haben und diesen unerfreulichen Zwischenfall vergessen. Schon bald würde Alice an seiner Tür klingeln und wegen Minervas Versehen würde er kaum Vorbereitungszeit haben. Zum ersten Mal in seinem Leben war er wegen seiner Drehbuchautorin verärgert und gekränkt.
    Gerade als er auf der virtuellen Tastatur seines Telefons erneut den Code der Drehbuchautorin eingeben wollte, sah er etwas, das seine
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