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Verborgen im Niemandsland

Verborgen im Niemandsland

Titel: Verborgen im Niemandsland
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geschoben hatte, um auf den harten Brettern des Kutschbocks die Stöße und das ständige Gerüttel des Wagens ein wenig erträglicher zu machen. »Und darauf freue ich mich jetzt schon.« Sie lachte kurz auf. »Wie man doch auf einmal für die kleinsten Freuden und Erleichterungen dankbar ist, an die man unter normalen Umständen nicht einmal einen Gedanken verschwendet hätte!«
    »Ja, du hast Recht«, pflichtete Abby ihr bei und dachte wieder einmal voller Bedrückung an Rachel, die sich in ihrem todkranken Zustand für sie aufgeopfert und an ihrer Stelle mit dem Sträflingsschiff nach Norfolk Island gesegelt war. Eingepfercht in den abscheulichen Sträflingsquartieren im stinkenden Unterdeck, befand sich ihre Freundin jetzt schon längst auf hoher See. Aber ob sie die verfluchte Insel überhaupt lebend erreichen würde, war fraglich, so wie Rachel bei ihrer letzten aufwühlenden Begegnung auf der Phoenix schon Blut gespuckt hatte. Vermutlich würde sie nie erfahren, wie es Rachel ergangen war und wie lange sie noch gelebt hatte. Und das würde sie bis ans Ende ihrer Tage bedrücken. Sie verdankte Rachel ihr Leben und dass sie mit Andrew und ihrem im Kerker zur Welt gekommenen Baby Jonathan mit diesem geheimen Treck ins Niemandsland hatte aufbrechen können. »Ich bin so froh, am Leben zu sein und mit Andrew und Jonathan in die Freiheit zu fahren.«
    Rosanna wusste, woran Abby in diesem Moment dachte, und nickte. »Ja, das größte Wunder auf Erden ist und bleibt die Liebe, die keine Grenzen und keine Vorbehalte kennt, wie hoch der Preis auch sein mag«, sagte sie leise, um nach einer kurzen Weile nachdenklichen Schweigens in der ihr eigenen resoluten, nüchternen Art fortzufahren: »Aber wir sollten besser nicht glauben, jetzt schon in Sicherheit zu sein! Vor uns liegt noch eine gute Strecke Weges, bis wir es wagen können, uns irgendwo niederzulassen.«
    »Ich weiß«, sagte Abby mit einem müden Aufseufzen. »Wir werden wohl noch Wochen unterwegs sein, bis wir uns wirklich sicher fühlen können und auch den richtigen Landstrich für eine Besiedlung gefunden haben.«
    »Nehmen wir einen Tag nach dem anderen, Abby.«
    »Ja, nur so geht es«, stimmte Abby ihr zu.
    Sie waren wieder beim ersten Licht des neuen Tages aufgebrochen und mittlerweile hatte die Sonne am leicht bewölkten Himmel fast schon ihren höchsten Stand erreicht. Aber auch an diesem Tag lagen noch viele Stunden auf dem harten Kutschbock vor ihr und ihren Gefährten, die sich an diesem verbotenen und gefährlichen Treck in das noch unbesiedelte und unerforschte Land südwestlich der Kolonie beteiligt hatten. Und keiner konnte sagen, wie viele Tage, ja Wochen noch vor ihnen lagen, bevor sie sich endlich vor der Macht und Willkür des New South Wales Corps sicher fühlen konnten und außerdem noch genügend fruchtbares Land zum Siedeln gefunden hatten.
    Abbys Blick ging über das karge, hügelige Buschland mit seinen verfilzten Dornenbüschen, den kleinen Waldstücken aus immergrünen, graustämmigen Eukalyptusbäumen und dem dürren, scharfkantigen Gras, das hier und da in Büscheln aus der rotbraunen Erde wuchs. Es erstreckte sich von Horizont zu Horizont. Wie ein schier endloser Ozean erschien ihr die Landschaft. Fünf Tage waren erst vergangen, seit sich die zwölf Familien nach all den geheimen Vorbereitungen zum gemeinsamen Aufbruch außerhalb der Siedlung Camden eingefunden und die letzten besiedelten Gebiete der Kolonie hinter sich gelassen hatten. Und in diesen Tagen war ihnen keine Menschenseele begegnet - gottlob nicht!
    Der Erfolg ihres waghalsigen Unternehmens hing in besonderem Maße davon ab, dass niemand wusste, wo sie im Niemandsland verschwunden waren und wo sie sich eine neue Existenz aufbauten. Zwar rechneten alle damit, dass früher oder später ein rechtmäßiger Gouverneur mit regulären Truppen in Sydney landete, der Willkürherrschaft des New South Wales Corps ein Ende bereitete und wieder für Recht und Ordnung sorgte. Aber wann genau das geschehen würde, stand in den Sternen. Und bis dahin schwebten sie in großer Gefahr, die sie nicht auf die leichte Schulter nehmen durften.
    Rosanna beugte sich nach hinten und warf durch den Spalt in der Segeltuchplane, die das Gestänge über dem Wagen bedeckte, einen Blick auf das wenige Wochen alte Baby, das gleich hinter der Rückenlehne des Kutschbocks in einem weich ausgepolsterten Weidenkorb lag.
    »Jonathan schläft noch immer tief und fest«, sagte sie mit einem liebevollen
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