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Verblendung

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Titel: Verblendung
Autoren: Stieg Larsson
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Millennium die erste Kanonensalve abgefeuert hatte, wurde Mikaels Buch Der Bankier der Mafia an die Buchhändler ausgeliefert. Es war während der fieberhaften Tage in Sandhamn im September und Oktober entstanden und in aller Eile und größter Verschwiegenheit gedruckt worden. Es war das erste Buch, das von einem ganz neuen Verlag mit dem Millennium -Logo herausgegeben wurde. Die kryptische Widmung lautete Für Sally, die mir die Vorteile des Golfsports näher brachte .
    Es war ein Wälzer von 615 Seiten im Taschenbuchformat. Die niedrige Auflage von zweitausend Exemplaren war fast eine Garantie für ein Verlustgeschäft, aber die erste Auflage war tatsächlich schon nach ein paar Tagen ausverkauft, sodass Erika schnell 10 000 Exemplare nachdrucken ließ.
    Die Rezensenten stellten fest, dass Mikael Blomkvist diesmal nicht mit ausführlichen Quellenangaben gespart hatte. Zwei Drittel des Buches waren Anhang, der aus direkten Abschriften der Dokumente aus Wennerströms Computer bestand. Zeitgleich mit der Veröffentlichung des Buches stellte Millennium Texte aus Wennerströms Computer als pdf-Dateien auf die Website des Magazins. Jeder, der sich nur im Geringsten für den Wahrheitsgehalt des Buches interessierte, konnte die Quellen selbst überprüfen.
    Mikaels befremdliche Abwesenheit war ein Teil der Medienstrategie, die Erika und er ausgeheckt hatten. Jede Zeitung im Lande suchte ihn. Erst als das Buch veröffentlicht wurde, trat Mikael mit einem exklusiven Interview an die Öffentlichkeit, das die Kollegin von TV4 führte. Abermals hatte sie das staatliche Fernsehen auf die Ränge verwiesen. Dieses Interview war jedoch kein Gespräch unter Freunden, und ihre Fragen waren alles andere als schmeichlerisch.
    Mit einer Passage war Mikael besonders zufrieden, als er sich das Videoband mit seinem Auftritt ansah. Das Interview war live ausgestrahlt worden, als die Börse von Stockholm sich gerade im freien Fall befand und die jungen Börsenspekulanten drohten, sich aus diversen Fenstern zu stürzen. Sie hatte ihn gefragt, welche Verantwortung Millennium dafür trug, dass die schwedische Wirtschaft gerade in die Knie ging.
    »Die Behauptung, dass die schwedische Wirtschaft in die Knie geht, ist blanker Unsinn«, hatte Mikael blitzschnell geantwortet.
    Die Journalistin von TV4 war völlig verblüfft. Diese Antwort entsprach nicht ihren Erwartungen, und plötzlich war sie gezwungen zu improvisieren. Sie stellte die Folgefrage, auf die Mikael gehofft hatte: »Wir erleben derzeit den größten Sturz in der Geschichte der schwedischen Börse - Sie meinen also, das sei Unsinn?«
    »Sie müssen zwei Dinge unterscheiden - die schwedische Wirtschaft und die schwedische Börse. Die schwedische Wirtschaft ist die Summe aller Dienstleistungen und Waren, die in diesem Land jeden Tag produziert werden. Das sind Telefone von Eriksson, Autos von Volvo, Hühnchen von Scan und Transporte von Kiruna nach Skövde. Das ist die schwedische Wirtschaft, und die ist noch genauso stark oder schwach wie vor einer Woche.«
    Er machte eine Kunstpause und trank einen Schluck Wasser.
    »Die Börse ist etwas ganz anderes. Da gibt es keine Wirtschaft, keine Produktion von Waren und Dienstleistungen. Da gibt es nur Fantasien, da entscheidet man von einer Stunde auf die andere, dass dieses oder jenes Unternehmen jetzt soundso viele Milliarden mehr oder weniger wert ist. Das hat nicht das Geringste mit der Wirklichkeit oder mit der schwedischen Wirtschaft zu tun.«
    »Sie meinen also, es spielt keine Rolle, dass die Börse gerade ins Bodenlose stürzt?«
    »Nö, das spielt überhaupt keine Rolle«, antwortete Mikael mit einer so müden und resignierten Stimme, dass er wie ein Orakel wirkte. Diese Replik würde im folgenden Jahr noch so manches Mal zitiert werden. Er fuhr fort:
    »Das bedeutet nur, dass unzählige Spekulanten sich jetzt von schwedischen auf deutsche Aktien verlegen werden. Diese Finanzjongleure sollte man dingfest machen und als Landesverräter an den Pranger stellen. Sie sind es nämlich, die der schwedischen Wirtschaft systematisch und vielleicht sogar bewusst schaden, um den Wunsch ihrer Klienten nach Profit zu befriedigen.«
    Dann beging die Journalistin den Fehler, genau die Frage zu stellen, auf die Mikael gehofft hatte.
    »Sie meinen also, dass die Medien keine Verantwortung tragen?«
    »Doch, die Medien tragen in höchstem Maße Verantwortung. Mindestens zwanzig Jahre lang haben es allzu viele Wirtschaftsjournalisten unterlassen,
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