Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verblendung

Verblendung

Titel: Verblendung
Autoren: Stieg Larsson
Vom Netzwerk:
Hans-Erik Wennerström einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Stattdessen haben sie ihm durch unbesonnene Lobeshymnen geholfen, sein Prestige aufzubauen. Wenn sie in den letzten zwanzig Jahren ihren Job gemacht hätten, dann wären wir heute nicht in dieser Situation.«
     
    Dieser Auftritt war ein Wendepunkt gewesen. Im Nachhinein war Erika sicher, dass erst Mikaels souveräner Auftritt im Fernsehen die schwedischen Medien davon überzeugt hatte, dass die Story wirklich wasserdicht war. Sein Auftreten hatte der Geschichte wegweisenden Charakter verliehen.
    Nach dem Interview wanderte die Wennerström-Affäre unmerklich von den Wirtschaftsredaktionen auf die Tische der Polizeireporter. Das war ein Zeichen dafür, dass in den Redaktionen ein Umdenken stattgefunden hatte. Früher hatten normale Polizeireporter selten oder nie über Wirtschaftsverbrechen geschrieben, es sei denn, es ging um die russische Mafia oder jugoslawische Zigarettenschmuggler. Man erwartete von ihnen nicht, dass sie verwickelte Geschehnisse an der Börse untersuchten. Eine Abendzeitung nahm Mikael Blomkvist sogar beim Wort und füllte zwei Doppelseiten mit Porträts wichtigster Finanzmakler, die gerade deutsche Wertpapiere kauften. Die Zeitung titelte Sie verkaufen ihr Land . Alle Broker wurden aufgefordert, die Behauptungen zu kommentieren. Alle lehnten ab. Aber der Aktienhandel ging an jenem Tag bedenklich zurück, und ein paar Makler, die sich als progressive Patrioten profilieren wollten, begannen, gegen den Strom zu schwimmen. Mikael Blomkvist lachte sich kaputt.
    Der Druck wurde so groß, dass ernste Männer in dunklen Anzügen ihre Stirn in Falten legten und gegen die wichtigste Regel jener exklusiven Gesellschaft verstießen, die den innersten Kreis der schwedischen Hochfinanzwelt bildeten - sie äußerten sich über einen Kollegen. Plötzlich gaben pensionierte Volvo-Chefs, Industriekapitäne und Bankdirektoren Fernsehinterviews, um den Schaden zu begrenzen. Der Ernst der Lage war allen klar, nun ging es darum, sich so schnell wie möglich von der Wennerstroem Group zu distanzieren und eventuelle Aktienbestände abzustoßen. Wennerström (so verkündeten sie fast einstimmig) war trotz allem kein richtiger Industrieller, und er war auch nie so recht im Klub akzeptiert worden. Jemand erinnerte daran, dass Wennerström im Grunde ja nur ein einfacher Arbeiterjunge aus Norrland war, dem der Erfolg zu Kopf gestiegen war. Irgendjemand beschrieb sein Verhalten als eine persönliche Tragödie . Andere taten auf einmal kund, dass sie schon seit Jahren an Wennerström gezweifelt hatten - er trat zu prahlerisch auf und hatte einfach keine Manieren.
    In den folgenden Wochen, nachdem das Beweismaterial von Millennium in allen Einzelheiten durchleuchtet worden war, wurde Wennerströms Imperium obskurer Firmen mit dem Herzen der internationalen Mafia in Verbindung gebracht, die so gut wie alles betrieb, von illegalem Waffenhandel über Geldwäsche für südamerikanische Drogenhändler bis hin zur Prostitution in New York oder Geschäften mit Kindersex in Mexiko. Ein in Gibraltar registriertes Wennerström-Unternehmen verursachte großen Wirbel, als herauskam, dass es versucht hatte, auf dem ukrainischen Schwarzmarkt aufbereitetes Uran zu kaufen. An jedem Winkel dieser Erde schien eine von Wennerströms obskuren Briefkastenfirmen in einem anderen Zusammenhang aufzutauchen.
    Erika stellte fest, dass das Buch über Wennerström das Beste war, was Mikael jemals geschrieben hatte. Der Stil war uneinheitlich, die Sprache streckenweise sogar holprig - für stilistische Finessen war einfach keine Zeit gewesen -, aber Mikael führte hier seinen großen Rachefeldzug, und so war das Buch beseelt von einer maßlosen Wut, die keinem Leser verborgen bleiben konnte.
     
    Aus reinem Zufall begegnete Mikael seinem Gegenspieler, dem ehemaligen Wirtschaftsjournalisten William Borg. Sie liefen sich an der Garderobe der Mühle über den Weg. Mikael, Erika und Christer hatten sich zum Lucia-Fest am 13. Dezember einen freien Abend genehmigt, um mit ihren Mitarbeitern auszugehen und sich auf Firmenkosten gepflegt volllaufen zu lassen. Borg war in Begleitung eines stockbetrunkenen Mädchens in Lisbeths Alter.
    Mikael erstarrte und musste sich schwer zurückhalten, um nichts Unpassendes zu sagen oder zu tun. Stattdessen standen Borg und er sich gegenüber und maßen sich stumm mit Blicken.
    Diese Blicke - so behauptete Erika später - hätten das Haus in Brand setzen können.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher