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Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Titel: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel
Autoren: Elisabeth Zöller
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ab. Wenn wir zur Gutenbergstraße fahren, müsste das Auto bald angekommen sein. Aber wir fahren und fahren.
    Ich frage: »Wo sind wir?«
    Er schweigt. Ich höre nur diese verdammte Stille um mich herum, die einzig vom Motorengeräusch überlagert wird.
    »Hallo, ist da wer?«, frage ich. »Fährt jemand mit?« Ich taste nach rechts und links. Es ist niemand da außer uns beiden.
    »Papa«, sage ich, aber zu leise.
    Wir verlassen die gepflasterte Straße, fahren über Schotter. Ich höre, wie die Steinchen hochschleudern. Dann biegt der Wagen in eine weite Rechtskurve, bremst scharf und hält. Die Tür wird aufgerissen. Ich werde herausgezogen und eine Treppe hochgezerrt. Türen schlagen. Um mich herum fremde Stimmen. Getuschel. Türenschlagen.
    Männerstimmen? Frauenstimmen?
    Man setzt mich auf einen Stuhl. Um mich herum geschäftiges Treiben. Befehle werden erteilt. Hastige Zurufe.
    Dann geht eine Tür zu. Stille.
    Bin ich allein? Was haben sie mit mir vor?
    Holen sie mich gleich ab? Wohin?
    Ich habe solche Angst.

Epilog
     
    »Er ist weg«, sagt eine Frauenstimme.
    Die Augenbinde wird mir abgenommen. Mein Kopf sinkt nach vorne. Ich sehe dunkle Dielenbretter. Es ist diese Mischung aus großer Angst, dröhnendem Kopfschmerz und auf- und abschwellendem Brummen in meinen Ohren, die jeden Gedanken aus meinem Kopf fegt. Nein, ich kann nicht denken. Und was soll ich schon denken? Ich weiß doch gar nichts, vor allem nicht, wo ich bin. Und dann falle ich, stürze in das unendliche Dunkel des Fußbodens.
    »Schwester Hedwig, schnell den Eimer!«, ruft eine fremde Stimme.
    Mein Magen hat sich zusammengekrampft. Ich muss brechen. Ein Schwall warmer Flüssigkeit schießt aus meinem Mund. Es brennt in meinem Hals, und ein süßlicher Geruch steigt mir in die Nase. Ich versuche, etwas zu sagen.
    Eine kühle Hand legt sich auf meine Stirn und drückt mich sanft zurück auf ein Kissen.
    Wo bin ich? Ich will die Hand wegschieben. Es ist nicht Mamas Hand, das spüre ich. Sie könnte mir wehtun. Alles dreht sich. Ich schließe die Augen.
     
    Als ich wach werde, ist mir so kalt. Ich rolle mich zusammen und ziehe die Knie unter mein Kinn. Jede Bewegung schmerzt. Ich trage ein Nachthemd aus Baumwolle. Es riecht frisch und sauber, und es kratzt.
    Im Luftzug des geöffneten Fensters bauschen sich die weißen Vorhänge. Neben meinem Bett sitzt eine Nonne in ihrer Tracht. Sie hält die Hände im Schoß gefaltet und schläft, den Kopf zur Seite geneigt. Ihr Mund ist leicht geöffnet. Die Brille ist ihr auf die Nasenspitze gerutscht.
    Ich sehe einen mit Schnitzwerk verzierten Schrank in der Ecke, ein Holzkreuz an der Wand, einen weißlackierten Tisch und darauf eine brennende Kerze. In einem schmucklosen Übertopf verblüht ein Alpenveilchen. Durch die Bogenfenster fällt das milchig weiße Licht des Morgens. Irgendwo kräht ein Hahn.
    Wo bin ich? Wohin hat er mich gebracht?
    In meiner Stirn pulst immer noch dieses hämmernde Dröhnen. Ich schließe die Augen, bis ich höre, dass die Tür sich öffnet und jemand das Zimmer betritt. Der Holzboden knarrt.
    Sie sind zu dritt. Drei Nonnen in langen schwarzen Trachten, die hohen Kopfhauben zu Flügeln gewölbt. Ich sehe in fremde Gesichter. Fremde Augen. Ich höre die Worte so weit weg von mir.
    »Ich bin Schwester Antonia. Geht es dir besser, Paula?«
    Es fiept in meinen Ohren. Ich versuche zu antworten, aber es kommt nur ein Krächzen aus meiner Kehle. Es tut weh.
    Die Nonne nimmt meine Hand. Sie fühlt meinen Puls. »Hab keine Angst. Hier bei uns bist du sicher.« Sie streicht mir sanft über den Handrücken.
    Ich kann das nicht ertragen. Ich schüttele den Kopf und weise sie ab. Es riecht hier wie in der Turnhalle unserer Schule. Schweißig, abgestanden und fettig. Und dann plötzlich die Erkenntnis: Das bin ich, die so stinkt! Tränen laufen mir über mein geschwollenes Gesicht. Dabei will ich doch gar nicht weinen.
    »Du musst versuchen aufzustehen. Wir wollen dich waschen. Ein warmes Kräuterbad wird dir guttun, getrocknete Kräuter aus unserem Garten«, flüstert jemand sanft.
    Ich nicke und versuche, mich aufzurichten. Mein Haar klebt an meinem Kopf. Meine Lippe ist aufgeplatzt. Mühsam gelingt es mir, die Beine aus dem Bett zu bewegen. Langsam setze ich mich auf der Bettkante auf. Mein Rücken schmerzt. Ich spüre jeden Knochen, jede Muskelfaser. Sie heben mich in einen Rollstuhl. Sofort kommt das Zittern wieder. Ich will nicht mehr, dass es weh tut. Ich will, dass es aufhört.
    Sie
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