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Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Titel: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel
Autoren: Elisabeth Zöller
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ergriffen. »Ganz bestimmt.«
     
    Ich beobachte meine Familie und mich im Spiegel am Küchenschrank. Meinen Vater, der mich immer noch im Arm hält, und meine Mutter, die Hans ein zweites Stück Kuchen auf den Teller legt. Ich sehe mich, mein glattes blondes Haar, geflochten zu zwei dicken Zöpfen. Meine Augen leuchten, und die Wangen sind leicht gerötet. Die Uniform lässt mich erwachsener aussehen. Ich bin zufrieden. Ich habe aber auch Glück. Alles geht mir leicht von der Hand. Sowohl in der Schule – ich besuche die neunte Klasse – als auch beim BDM * . Gerade bin ich zur Schaftführerin ernannt worden, und Scharführerin soll ich bald werden! Wer kann das mit fünfzehn Jahren von sich behaupten? In meiner Mädelschaft sind lauter nette Mädchen, mit denen ich viel unternehme und viel Spaß habe.
    »Du wirst deinen Weg gehen, da bin ich sicher«, sagt mein Vater. »Und denk dran: In Deutschland sind neue Zeiten angebrochen. Und du kannst deinen Teil dazu beitragen. Welches Glück, dass wir den Führer haben.«
    Unsere Blicke treffen sich im Spiegel. Mein Vater steht auf und streicht sich eine widerspenstige dunkelblonde Strähne aus der Stirn. Er steht aufrecht und reckt sein kräftiges Kinn. Seine für gewöhnlich leicht geröteten Wangen glühen jetzt, und er nickt mir kameradschaftlich zu. In solchen Momenten ist er immer ein bisschen theatralisch, und in Mamas Augen schimmern Tränen bei seinen Worten. Natürlich bin ich stolz auf meinen Vater, wenn ich ihn so wie jetzt in seiner braunen Uniform sehe: zackig, resolut und die Hakenkreuzbinde am Arm!
    Meine Mutter drückt mich noch einmal: »Ich geh noch zu
Leopolds
, Mehl kaufen. Wir beide müssen noch Brot backen, Paula.« Sie steckt ihre blonden Haare zusammen, bindet das dunkelblaue Kopftuch um und schlüpft in ihre Strickjacke.
    »Ich komme mit!«, ruft Hans. Ich muss lächeln. Ich wette, dass Hans auf eine Tüte Malzbonbons spekuliert.
    Wir sind nur zwei Kinder. Hans, mein jüngerer Bruder, ist Fähnleinführer * beim Deutschen Jungvolk * . Er ist ein guter Sportler, und mit seinen zwölf Jahren ist er sich ganz sicher, was er will. Pfeifend verlässt er mit Mama die Küche.
    Die Fahne hoch
, summe ich mit. Ich mag das Lied, es gibt Kraft. Man weiß bei der Melodie sofort, in welche Richtung man marschieren soll.
    Draußen auf der Straße hupt zweimal kurz ein Auto. »Ich muss zum Treffen der Ortsgruppenleiter«, sagt mein Vater. »Es geht um die Juden. Ein schwieriges Thema, aber wir werden dieses Problem in Münster bald gelöst haben.«
    Er knöpft seine braune Uniformjacke zu, schnallt sich den Gürtel mit der blankgeputzten Schließe um und angelt sich die Schirmmütze von der Garderobe. Er ruft uns einen Gruß zu, dann fällt die Tür ins Schloss.
     
    Ich mag unser Häuschen in der Sonnenstraße. Papa schimpft immer, dass es für unsere Familie viel zu klein sei. Ich finde das nicht und bin froh, dass es bei den Bombenangriffen im Sommer nicht beschädigt wurde.
    Wenn ich an diese vier Tage und Nächte zurückdenke, wird mir jetzt noch angst und bange. Ununterbrochen heulte der Alarm, fielen die Bomben auf die Stadt nieder. Ein unheimliches Zischen und Pfeifen lag in der Luft. Wir haben die Explosionen gehört und das Zersplittern von Glas, das Brummen von Flugzeugmotoren und das Wummern der Flak * . Später haben wir gesehen, dass es ganz in unserer Nähe furchtbare Einschläge gegeben hat. Viele Häuser in unserer Straße, der Hörsterstraße und im Kreuzviertel wurden zerstört, aber unser Haus nicht. Scheiben gingen zu Bruch, und feiner Staub lag über allem. Tagelang roch es nach Qualm. Aber wir dürfen hier wohnen bleiben. Unser Haus ist fast unversehrt geblieben.
    Vor dem Schlafengehen betrachte ich noch einmal die Widmung des Führers.
Sein
Buch mit
seiner
Signatur in
meinem
Zimmer. Wie sehr ich mich darüber freue! Dabei ist es doch nur selbstverständlich, was ich im BDM leiste. Nicht bloß, weil es meine Pflicht gegenüber meinem Vaterland ist, sondern auf das Herz kommt es an, auf die Liebe zum Führer.
     
    Ich kuschle mich in mein Kopfkissen und ziehe mir das Federbett bis zum Kinn. Vor dem Einschlafen danke und bete ich wie jeden Abend für meine Familie, für unsere Ideen, unseren Führer und für Mathilda.
    Mathilda Schubert ist meine Freundin seit der ersten Klasse. Und seit wir bei Fräulein Steinbrede, unserer Deutsch- und Biologielehrerin, das Märchen
Fundevogel
besprochen haben, ist der Spruch
Verlässt du mich nicht,
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