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Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Titel: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel
Autoren: Elisabeth Zöller
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nicht, Paula. Aber mein Vater möchte alles regeln. Er will vorbereitet sein. Und er glaubt, dass wir nicht mehr viel Zeit haben.«
    »Was redest du da, Mathilda?«
    »Paula, bitte. Hör mir einfach nur zu. Ja? Vielleicht willst du dann gar nicht mehr meine Freundin sein.«
    Ich nicke und schaue sie mit fragenden Augen an.
    Mathilda schluckt, dann sagt sie stockend: »Meine Mutter ist Jüdin. Ich bin Halbjüdin.«
    Das ist alles, was sie sagt.
    »Ja und? Du bist meine beste Freundin.« Und gleichzeitig höre ich Vaters Stimme:
Wir werden dieses Problem in Münster bald gelöst haben …
    »Hast du wirklich keine Ahnung, was die Nazis mit den Juden vorhaben? Siehst du denn nicht, was um dich herum passiert?« fragt Mathilda.
    Jetzt erinnert sie mich an Franziska. Warum tut sie plötzlich so überlegen, so besserwisserisch? Warum sagt sie das so vorwurfsvoll? Was habe ich ihr getan?
    Mathilda redet weiter: »Erinnerst du dich an die brennende Synagoge, die eingeschlagenen Schaufenster, die Schilder:
Kauft nicht bei Juden!
und an die jüdischen Mädchen, die ganz plötzlich nicht mehr zur Schule kamen? Erinnerst du dich an HJler und SA * -Männer, die Juden über die Promenade jagten? Siehst du nicht die gelben Bänke, die dort stehen?«
    Für einen Moment bin ich sogar ärgerlich.
Ja
, denke ich. Ich erinnere mich auch an Mathilda, die Privatunterricht erhält, die nicht zum BDM kommt, die nicht bei den Arbeitseinsätzen dabei ist. Mathilda, die das nicht nötig hat, die vielleicht etwas Besseres ist.
    »Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Nur weil vor ein paar Jahren die Synagoge gebrannt hat und ein paar Scheiben zu Bruch gegangen sind, muss dein Vater doch nicht heute die Pferde verkaufen?« Ich sage das trotzig.
    »Wir haben Angst. Wir fürchten um unser Leben.«
    »Mathilda, du spinnst.« Jetzt bin ich wirklich wütend.
    »Na klar. Ich spinne. Und du? Du träumst.« Mathilda stößt die Worte heftig hervor. Sie sieht mich an. »Vater musste die Leitung seiner Klinik abgeben. Und weißt du, warum? Weil er sich weigert, sich von meiner Mutter scheiden zu lassen. Kannst du dir das vorstellen? Mein Vater soll sich scheiden lassen, weil Mama Jüdin ist.«
    Ich verstehe überhaupt nichts mehr, ehrlich. Unvermittelt greift Mathilda meine Hand und zieht mich in den Schatten der Scheune. »Da, sieh nur. Da sind sie.« Sie flüstert es. Ihr Finger zeigt auf einen schwarzen Wagen, der gerade auf den Hof fährt. Wir haben ihn nicht gehört. Plötzlich ist er da und bremst vor dem Reitstall. Hinter der Windschutzscheibe sitzt ein Fahrer in Uniform. Er spricht über die Schulter mit jemandem, der auf der Rückbank sitzt und für uns unsichtbar bleibt. Mathilda hockt zusammengekauert und eng an die Scheunenwand gepresst und späht zu dem Auto hinüber.
    Ich versuche ganz ruhig zu sprechen. »Das ist doch nur ein schwarzes Auto. Mein Vater wird oft von so einem abgeholt.«
    »Ja«, sagt Mathilda, »das sind die Autos, die die Angst verbreiten.« Sie lacht kurz auf, doch es ist kein fröhliches Lachen. »Weißt du Paula, jedes Mal, wenn ich abends den Hof verlasse, frage ich mich, ob es ein nächstes Mal geben wird.« Und fast beschwörend fügt sie hinzu. »Lass mich nicht alleine, mein Lenchen. Behalte unseren Geheimbriefkasten im Auge. Bitte!«
    Sie drückt sich fest an mich, steht auf und eilt ohne ein weiteres Wort zu ihrem Rad. Als sie durch die Toreinfahrt verschwindet, trete ich auf den Hof. Die hintere Tür des schwarzen Autos öffnet sich, und ein Mädchen in Reitkleidung klettert heraus. Der Fahrer kurbelt das Seitenfenster herunter, und ich sehe ihn eine Zigarette rauchen. Das Mädchen winkt ihm zu und hüpft dann fröhlich in Richtung Stallgebäude. Herr Berning kommt auf mich zu. Er macht ein besorgtes Gesicht.
    »Ist Mathilda schon gegangen?« Er spricht leise und sieht sich nach dem schwarzen Auto um. »Ich bin froh, dass ihr so gute Freundinnen seid.«
    Wir führen die Pferde an die Striegelwand und binden sie fest. »Ich mach das schon, Herr Berning«, sage ich und hole den Putzkasten. Sorgsam reibe ich Astra und Mozart mit einem weichen Tuch trocken und striegele ihr Fell, bis es in der Sonne glänzt. Dabei beruhige ich mich langsam. Die Gedanken hören auf, in meinem Kopf im Zickzack zu rasen. Zum Abschied sagt Herr Berning, dass seine Einladung auch für mich gelte.
    Es ist spät. Ich ziehe mich um und klettere auf mein Fahrrad. Auf dem Feldweg überholt mich das schwarze Auto. Doch für mich ist es
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