Vanilla High (German Edition)
aber im Leben steht man immer vor einer Wahl. Das eine schließt das andere aus. Ich habe mich für Ganja entschieden und die Wissenschaftler können erzählen, was sie wollen: Ist man sich seiner Träume nicht bewusst, kommt es dem gleich, dass man nicht träumt. Die Nacht ist mein Freund. Ich bereite sie hiermit vor.
Die kleinere Disco ist gut gefüllt. Der Rotwein ist an sich schauerlich. Ich bin deutlich Besseres gewohnt. Hier darf geraucht werden wie in alten Tagen; hier darf alles geraucht werden. Das „Fat Old Sun“ zieht hauptsächlich älteres Publikum über dreißig an, Mitdreißiger, die jung bleiben wollen, aber sie sind nicht mehr jung. Ich bin selten hier, aber nun versuche ich mich im Tanz zu vergessen, trotz fortgeschrittenen Alters. Allerdings können die anwesenden Frauen mich auf andere Gedanken bringen, Gedanken, die ins Leere gehen und keine Konsequenzen haben. Mein Bewusstheitszustand wechselt zwischen Verlangen und Vergessenheit. Kaum regt sich hier bei mir Hoffnung. Trotz vieler Menschen, hautnah, kann ich hier keine Nähe finden. Es ist wohl nicht der richtige Platz, um Nähe zu finden. Es ist ein Platz für Spaß und eine auf sich selbstbezogene Ekstase. Dennoch bilde ich mir ein, hier auch tiefere Gefühle zu finden, tief, aber auf sich selbst bezogen. Meine Kondition ist nicht mehr die beste. Ich kann nicht die ganze Nacht durchtanzen. Müsste joggen, wie die Tabok. Ich bin hier nicht der Älteste; es gibt hier einige, die die Sechzig erreicht haben. Sehen auch so aus. Möglicherweise haben sie ein größeres Interesse am Programm der Tabok teilzunehmen. So weit ich weiß, sind sie nicht in der Lage das Altern rückgängig zu machen, aber möglicherweise können sie das auch. Bei einer Havarie werden Kinder und Frauen zuerst gerettet. Das hat seinen Sinn, nicht nur weil die Kinder ihr ganzes Leben noch vor sich haben. Ich finde das junge Leben höherwertig, was nicht heißt, dass ich etwas gegen Alte habe. Ich achte die Alten. Ich liebe meine Großmutter. Sie ist über neunzig und hat gute Chancen mit den Mitteln der menschlichen Medizin die Hundert zu erreichen. Sie ist recht vergesslich, bewegt sich gebückt, nimmt Schmerzmittel, die aber helfen. Die Tabok haben die Mittel, dass kein Mensch so sein muss, aber ich will, dass die Menschen so werden wie meine Großmutter. Bin ich pervers, bin ich wahnsinnig? Auch beim Tanzen kann ich über das Problem nachdenken. Es ist das Problem. Ich weiß nicht, ob die anderen Tänzer ebenso philosophieren oder vielleicht an nichts denken. Dies ist mein Thema. Ich will, dass die Menschen sterben, alt und gebrechlich werden, obwohl es Mittel gibt, die Natur in Schranken zu halten. Während ich auf der Tanzfläche zappele, versuche ich mir meinen Reim auf die Inkonsistenz meines Gedankengebäudes zu machen. Nein, ich habe nichts gegen Ärzte. Ohne die Medizin hätten die Menschen vielleicht eine Lebenserwartung von vierzig Jahren, tot geglaubte Seuchen würden wieder ausbrechen. Die Tabok haben die ultimative Medizin. Aber wie viel Medizin ist Medizin genug? Völlig pervers wäre es, jung gebliebene, gesunde Alte ab einer bestimmten Altersgrenze umzubringen. Aber wäre es nicht besser hundert zu werden und dabei gesund und jung zu bleiben als diese Greisenexistenz zu führen, dement und bewegungsunfähig! Es gibt da keine verstandesmäßige Lösung. Ich mag meine Gr0ßmutter so, wie sie ist, ich mag den quasinatürlichen Ablauf, mit dem ich grau geworden bin. So radikal, auf jegliche Medizin zu verzichten, bin ich nicht. Damit befinde ich mich in einem logischen Dilemma, auf das es keine Antwort gibt. Ich mache es mir einfach, ich bin gegen die Tabok-Medizin, die das Altern scheinbar aufhebt, nicht gegen die Menschenmedizin, die das Altern nicht aufhalten kann. Auf der Welt leben jetzt circa 10 Milliarden Menschen, ein großer Teil davon ist jung. Das ist gut so. In einer von den Tabok veränderten Menschheit leben zehn Milliarden Menschen, aber fast alle sind alt. Ich ziehe das erste Szenario auf jeden Fall vor. Es ist das quasi natürliche. Ich bin keineswegs gegen das Leben. Im Gegenteil! Wirkliches Leben zeichnet sich aus, dass es jung ist, dass es sich fortwährend weiterentwickelt. Ich kann nicht sehen, wie eine Gesellschaft der Alten sich weiterentwickelt. Und der Tod? Der Tod bedeutet neues Leben. Ich habe keine Angst vor dem Tod, weil ich an die Erlösung glaube. Ich glaube an meine unsterbliche Seele, und wenn ich mir keine sehr
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