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Vanessa, die Unerschrockene

Vanessa, die Unerschrockene

Titel: Vanessa, die Unerschrockene
Autoren: Joachim Masannek
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Mädchenmannschaft zu spielen – und ich wollte es auch nicht mehr. Oh, schitte! Ich fühlte mich so, als hätte man mir kurz vor dem Ziel beide Beine gestellt. Warum blieben wir nicht einfach in Hamburg? Meine Mutter war seit über einem Jahr tot. Ihr brachte dieses Traumhaus nichts mehr. Und was hatte mein Vater davon, in einem Traumhaus zu wohnen, in einer Traumstadt, in der ich todunglücklich war? So viel Geld konnte er mit seinem Traumjob gar nicht verdienen. Da half selbst ein Supermercedes wie dieser Dienstwagen nicht! Denn eins hatte ich in den letzten Jahren gelernt: Träume kann man nicht kaufen. Für einen Traum muss man bis zum Äußersten kämpfen. Doch dazu fehlte mir ab heute der Mut und die Kraft. Ja, und weil das so war, hatte ich alle meine Fußballsachen noch vor unserer Abfahrt in die Mülltonne geworfen.

Geisterstadt und Geisterhaus
    Zuerst wurde es dunkel, und dann kam der Nebel. Von München sah ich fast nichts, nur Autoscheinwerfer, Ampeln und Straßenlaternen. Erst in Grünwald zerrissen die dichten Schwaden zu Fetzen. Wie drachenköpfige Schlangen wanden sie sich durch den Ort, in dem unser neues Haus stand. Dahinter sah ich nur endlose Mauern. Nicht ein einziger Fußgänger oder Fahrradfahrer war unterwegs. Mir kam es vor, als führen wir durch das Labyrinth eines Gefängnisses, und ich fragte mich: Wo gibt es hier Kinder?
    Mein Vater bog um eine der endlosen Mauerecken herum in eine noch ruhigere und kleinere Straße. Dann hielt er an. Vor uns erschien ein hölzernes Tor aus dem Nebel und auf ihm stand ‚Waldfriedhofstraße 7’. Zum ersten Mal seit unserer Abfahrt schaute ich meinen Vater jetzt an. Der biss sich besorgt auf die Lippen. Dann spürte er meinen Blick und sah mich nachdenklich an.
    „Deine Mutter war fest davon überzeugt, dass es dir hier gefällt.“
    Tränen schossen mir in die Augen. Tränen der Wut.
    Wie konnte er jetzt von Mama reden? Mama war tot, und sie hätte mich bestimmt nicht gezwungen, nach München zu ziehen. Es war mein Vater, der hier seinen Traumjob bekam, und das nahm ich ihm richtig übel. Ja, so richtig, unwiderruflich und absolut. Besonders, da er sonst mein bester Freund war. Nach dem Tod meiner Mutter war er der einzige Mensch auf der Welt, der mich verstand oder der mich zumindest so sein ließ, wie ich war. Und ich wusste das war nicht immer so leicht.
    Doch jetzt öffnete sich das Holztor wie von Geisterhand, und langsam rollte der Mercedes an dem Schild mit der Aufschrift ‚Waldfriedhofstraße’ vorbei in die dunkle Einfahrt hinein. Das Kopfsteinpflaster ratterte unter den Reifen. Um die Schweinwerferkegel herum herrschte Finsternis. Dann sah ich die kleine Laterne. Sie schwankte im Wind, und ich hörte sie quietschen. Sie schwankte und quietschte über der alten hölzernen Tür eines Hauses, das ich euch am besten als Hexenhaus beschreibe:
    Windschief und gebückt stand es da. Dabei war es doch brandneu und gerade gebaut. Sein Schindeldach bog sich, als läge die Last von 500 Jahren auf ihm, und auf einer Seite streckte es sich sogar bis auf den Boden hinab, um sich wie mit einer Krücke zu stützen. Fachwerkbalken schlängelten sich wie Adern kreuz und quer durch die Wände hindurch, und dazwischen schauten Fenster wie Augen hervor. Große und kleine mit halbgeschlossenen Lidern, aber keines war gleich. Ja, das war das Haus meiner Mutter. Ein Hexenhaus – und ohne es zu merken, schaute ich in den Himmel hinauf, als würde sie dort auf einem Besen reiten.
    Doch meine Mutter war tot und der Wind heulte, als wir den Wagen verließen. In diesem Jahr brachte der September den Herbst schon sehr früh, und die Blätter der Bäume wirbelten wie Fledermäuse oder Riesenmotten durch die mondlose Nacht. Obwohl es Hexerei und Gespenster nicht gibt, flüchtete ich in das Haus und schlug die Tür hastig und fest hinter mir zu.

    Bamm!
    Mein Vater sah sich überrascht zu mir um. Das Haus, das von außen so klein gewirkt hatte, war von innen riesengroß. Und es war leer. Absolut. Keine Teppiche, keine Möbel. Kein einziges Bild hing an der Wand.
    „Deine Mutter hat gesagt, dass wir es zusammen einrichten sollen. Ein Haus soll mit den Menschen wachsen, die in ihm leben. Was meinst du?“
    Ich schwieg. Wie sollte ich bei der Einrichtung dieses Hauses mithelfen können? Ich hasste es doch.
    „Das Einzige, was deine Mutter entschieden hat, ist die Küche. Der Rest liegt bei uns. Was meinst du? Schaffen wir das?“, fragte mein Vater und zeigte dabei das
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