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Vanessa, die Unerschrockene

Vanessa, die Unerschrockene

Titel: Vanessa, die Unerschrockene
Autoren: Joachim Masannek
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und damit zu den beiden, die mir am ,freundlichsten’ gesonnen waren. Und die anderen Mitglieder meiner Mannschaft, das könnt ihr mir glauben, die waren nicht besser. Da gab es noch Raban, das war der rothaarige Junge mit der Coca-Cola-Glas-Brille, und der hatte, wenn ihr mich fragt, ein paar äußerst traumatische Schlüsselerlebnisse mit drei Kindergartenfriseusen hinter sich. Er hasste mich pur. Joschka, der kleinste von ihnen, war ein böser Giftzwerg, und Rocce, oh, der schöne Rocce, war ein Macho unter der Sonne. Der zählte mich gar nicht erst mit. „Wir spielen fünf gegen sechs“, wandte er sich sachlich an Willi. „Also haben wir Anstoß!“
    Willi nickte nur. Er sagte nichts und auch daran musste ich mich noch gewöhnen. Fräulein Zimperlich hätte Rocce aus Strafe wegen Unsportlichkeit sofort auf die Bank gesetzt. Doch hier war ich nicht mehr bei den lieben und netten Holsteinschen Schwalben, hier war ich in der echten, rauen, knallharten und wilden Welt, nach der ich mich mein Leben lang gesehnt hatte. Und in dieser Welt schien es keine Anstandsregeln zu geben. Nein, Willi wischte sich nur mit dem Ärmel den Rotz von der Nase und gab Rocce wie gefordert den Ball.
    „Okay! Fangen wir an!“, rief Leon. „Drei Ballkontakte pro Spieler, mehr nicht. Kapierst du, was das bedeutet?“, fragte er mich.
    „Ich darf den Ball nur dreimal berühren, inklusive Ballannahme und -abspiel, habe ich Recht?“
    Für einen Moment war Leon baff. Dann zischte er durch die Zähne. „Wow, die redet ja wie aus dem Fußball-Lehrbuch. Hast du das alles auswendig gelernt?“ Er grinste mich an und hatte schon wieder gewonnen. Ich hatte diese Übung tatsächlich noch nie im Leben gemacht. Ich hatte sie immer nur bei den Jungen gesehen. In meiner Mannschaft in Hamburg konnten wir froh sein, wenn überhaupt ein Spielzug gelang.
    „Okay. Vanella, oder wie du auch heißt. Du spielst mit Rocce und mir auf Linksaußen im Sturm.“
    „Natürlich auf Links“, dachte ich nur. „Warum binden sie mir nicht gleich die Beine zusammen?“ Doch ich war auch Vanessa, die Unerschrockene. Deshalb ging ich gehorsam auf meine Position und dachte stinksauer: „Macht euch auf etwas gefasst! Euch werd ich es zeigen!“
    Doch dazu sollte es kein einziges Mal kommen. Nach dem Anpfiff spielten Leon, Marlon, Raban, Joschka und Rocce wirklich fünf gegen sechs. Das heißt, sie spielten so, als wäre ich gar nicht da. Selbst wenn ich absolut frei und allein vor dem Tor stand und mir die Lunge aus dem Leib herausschrie, um es ihnen zu zeigen, spielten sie um mich herum. Und was noch viel schlimmer war: Sie machten auch jedes Mal alleine das Tor. Besser und eindrucksvoller hätten sie mir nicht zeigen können, wie überflüssig ich war. Doch ich war immer noch Vanessa, die Unerschrockene, und deshalb gab ich nicht auf.
    „Bravo! Hey, bravo!“, klatschte ich nach dem fünf zu null für unser Team. „Ihr seid echt cool, wisst ihr das? So cool, dass ihr es gar nicht bemerkt, wie ihr euch vor Angst in die Hosen macht.“
    Die Wilden Kerle schauten mich verdutzt an. Dann lachten sie laut. „Habt ihr das eben gehört, Männer?“, riefen Leon und Marlon, doch ich schnitt ihnen das Lachen sofort wieder ab. „Ja, das hoffe ich doch und ich sag es gerne noch mal. ,Männer’, oder was immer ihr seid: Ihr habt Schiss, hört ihr das? Ihr habt doch nur Schiss davor, dass ich vielleicht etwas kann.“
    Leon lachte noch mal, er versuchte es wenigstens, doch ich ließ es nicht zu. „Ach ja“, fuhr ich ihn an. „Und warum gebt ihr dann nie zu mir ab?“
    Jetzt war es still.
    Ich schaute zu Willi. Der amüsierte sich königlich, und das machte mir Mut. Ich konnte mir sogar ein Grinsen nicht mehr verkneifen. Ich hatte sie wirklich an ihrer empfindlichsten Stelle gepackt und Leon und die Wilden Kerle um ihn herum kochten vor Wut.
    „Okay. Wie du willst“, nahm Leon die Herausforderung an. „Wir werden ja sehen, wer zuletzt von uns lacht.“

    Dann passte er den Ball sofort und ganz scharf zu mir. So scharf, dass ich ihn beim besten Willen nicht anstoppen konnte. Die Kugel versprang und landete natürlich beim Gegner, der im Anschluss an diesen Fehler sofort sein Ehrentor schoss. Das Grinsen auf Leons Gesicht hasste ich, das könnt ihr mir glauben, und trotzdem passierte das Gleiche noch zweimal. Auch wenn es nie meine Schuld war. Auch wenn Leon und Marlon oder Rocce meine Fehler nur provozierten, wurde ich immer unsicherer und nervöser, und als Marlon
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