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Vampyr

Vampyr

Titel: Vampyr
Autoren: Brigitte Melzer
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geradewegs in den Himmel wachsen.
    Schlagartig war das Gefühl der Einsamkeit und Verzweiflung zurück, das während ihrer letzten Monate auf Dun Brònach Catherines ständiger Begleiter gewesen war. Wieder stand sie vor dem Arbeitszimmer ihres Vaters und hörte jene Worte, die nicht für ihre Ohren bestimmt gewesen waren. Worte, die ihre Welt zum Einsturz brachten. »Kümmert Euch darum, dass diese MacKay-Freunde zum Schweigen gebracht werden!«, hatte ihr Vater einen seiner Männer angewiesen. »Setzt allen Gerüchten ein Ende – wie Ihr das anstellt, überlasse ich Euch. Ihr habt freie Hand.« – »Natürlich, Herr. Mit Verlaub, es war ein brillanter Zug, es aussehen zu lassen, als hätten Earl Bruce und sein Weib den Tod durch die eigene Hand gewählt.« Die Worte ließen Catherine zurückfahren. Ihr eigener Vater! Nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, er könne etwas mit dem Tod der MacKays zu tun haben.
    Catherine glaubte das fassungslose Wispern und Raunen der Menschen noch immer zu hören, als sich die Nachricht in Dun Brònach verbreitet hatte. Der Earl und seine Frau, freiwillig aus dem Leben geschieden, kurz nachdem man ihnen die Nachricht vom Tod ihres Sohnes überbracht hatte. Man fand sie im Morgengrauen am Fuße des Turms, die Leiber zerschmettert.
    Unbemerkt machte Catherine kehrt und floh. Stundenlang irrte sie durch die Dunkelheit, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Sie weinte nicht – weder in jener Nacht noch später. Es war, als habe die schreckliche Wahrheit jedes Gefühl in ihr getötet. Wie sollte sie mit diesem Wissen leben? Wie konnte sie? Sie dachte daran, Hilfe zu suchen, doch es gab niemanden, dem sie sich anvertrauen konnte. Nicht einmal Betha, ihrer alten Kinderfrau, wagte sie davon zu berichten. Ihr Wissen mit dem Falschen zu teilen war gefährlich. Zu groß war ihre Furcht, ihr Vater könne davon erfahren. Monatelang quälte sie sich, zwang sich jeden Tag aufs Neue ihrem Vater in die Augen zu sehen, bis sie es schließlich nicht mehr aushielt. Eines Nachts packte sie ihr Bündel und stahl sich davon. Das war vor beinahe vier Jahren gewesen …
    Auf dem Hof herrschte geschäftiges Treiben. Männer und Frauen gingen ihrem Tagwerk nach. Clanskrieger kreuzten ihren Weg. Ein Küchenjunge versuchte verzweifelt, ein Huhn einzufangen. Dabei war er gestürzt, sodass sein Plaid nass und voller Schlamm war. Ein Stück weiter hinten schleppte eine Magd zwei Wassereimer zum Haupthaus. Ein Gewirr aus Stimmen erfüllte die Luft. Nichts hier wirkte düster und bedrohlich – und dennoch wollte es Catherine nicht gelingen, das Unbehagen abzustreifen, das sie mit einem Mal umklammert hielt.
    Vor den Ställen saß der Hauptmann ab und warf einem Stallburschen die Zügel zu. Catherine glitt aus dem Sattel. Ihre Stiefel gruben sich in den vom Regen der vergangenen Nacht aufgeweichten Boden. Der Wind fuhr ihr unter den Plaid und strich eisig über ihre Beine. Fröstelnd folgte sie Farrell durch eine Seitenpforte ins Haus. Über eine schmale Treppe gelangten sie in den spärlich erleuchteten Gang, in dem das Quartier des Hauptmanns lag. Dort bewohnte er drei miteinander verbundene Zimmer – ein Schlaf-, ein Empfangs- und ein Arbeitszimmer –, deren zweckmäßige Einrichtung ebenso zu ihm passte wie die penible Ordnung, die hier herrschte.
    Nachdem Farrell ihr alles gezeigt hatte, führte er sie hinter einen Vorhang, der eine kleine Nische vom Empfangsraum abtrennte. Dort stand ein Bett.
    »Es ist nicht viel«, meinte er entschuldigend, »aber zumindest könnt Ihr hier ungestört sein. Ich muss jetzt zu meinen Männern. Ich war schon zu lange fort. Wir müssen uns dringend beraten.« Er dachte kurz nach, dann sagte er: »Es wird bald dunkel. Ruht Euch aus. Morgen wird sicher ein anstrengender Tag für Euch.« Mit einer knappen Verneigung ließ er sie allein.
    Eine Weile streifte Catherine durch die Räume und versuchte sich mit ihrer neuen Umgebung vertraut zu machen. Sie fühlte sich wie ein Eindringling in einem Reich, dessen Grenzen zur Außenwelt durch akkurate Sorgfalt und Ordnung abgesteckt waren. Das Arbeitszimmer war der einzige Raum, der bewohnt aussah. Zweifelsohne verbrachte Farrell einen Großteil seiner Zeit hier.
    Als die Dämmerung langsam Einzug hielt, entfachte Catherine im Empfangszimmer ein Feuer im Kamin und zog sich einen Stuhl heran. Lange Zeit blickte sie in die Flammen, gefangen in ihren eigenen Gedanken. Trotz ihrer Ängste und der düsteren Erinnerungen konnte sie
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