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Vampyr

Vampyr

Titel: Vampyr
Autoren: Brigitte Melzer
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nicht umhin sich einzugestehen, dass sie sich nach dem Glen Beag gesehnt hatte. Obwohl es ihr in Edinburgh gefiel, vermisste sie die herbe Schönheit der Highlands. Die schroffen Felsen, die das Tal umgaben; im Norden der Gipfel des Ben Kilbreck, die dichten Wälder, der Geruch von Torf, selbst der Nebel und Regen hatten ihr gefehlt. Während im modernen Edinburgh die Mode und die Gewohnheiten der Engländer mehr und mehr die gälische Tradition verdrängten, war sie hier so lebendig wie nie zuvor. Catherine hoffte, das möge sich niemals ändern. Wie sehr sie es liebte, den melancholischen Melodien eines Dudelsacks zu lauschen oder fröhliche gälische Weisen zu singen, fiel ihr erst jetzt auf, da sie wieder hier war. Wieder hier.
    Sie fragte sich, ob sie die Maskerade als Diener wirklich über einige Tage hinweg aufrechterhalten konnte. Der Plaid war weit kürzer als die Kleider, die zu tragen sie gewohnt war. Wie lange würde es dauern, bis jemandem auffiel, dass ihre Beine, selbst für einen jungen Knaben, zu dünn waren? Sie werden mich erkennen. Und was dann? Mit Schimpf und Schande würde man sie davonjagen. Sie würden Dreck und Steine nach ihr werfen und sie für das verfluchen, was ihr Vater getan hatte. Catherine war mehrmals versucht aufzustehen und Dun Brònach fluchtartig zu verlassen. Und doch tat sie es nicht. Sie fragte sich, ob es wirklich die Sorge um Martáinn war, die sie davon abhielt, oder ob die Furcht ihre Beine lähmte und ihr eine Flucht unmöglich machte.
    Als das Feuer heruntergebrannt war, saß sie noch immer da und schaute in die ersterbende Glut. Plötzlich hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden – fremde Blicke, die sich wie glühendes Eisen in ihren Leib sengten. Sie hob den Kopf. Unruhig wanderten ihre Augen umher, streiften über Sessel und Tisch bis zum anderen Ende des Raumes. Nichts. Sie sah zur Verbindungstür zum Arbeitszimmer hin. Im Gegensatz zum Schlafzimmer konnte es auch vom Gang aus betreten werden. Was, wenn dort …?
    Sie packte einen Schürhaken und erhob sich. Langsam, Schritt für Schritt, näherte sie sich dem Arbeitszimmer. Immer wieder hielt sie inne, lauschte ins Halbdunkel, ohne etwas anderes als ihren eigenen Herzschlag zu vernehmen. Das ist lächerlich! Wie sollte sie jemand durch eine geschlossene Tür hindurch beobachten? Sie ließ die Hand mit dem Schürhaken sinken, tat einen weiteren Schritt auf das Arbeitszimmer zu – und zögerte. Womöglich hatte derjenige die Tür geschlossen und sich zurückgezogen, als sie ihn bemerkte. Nein, das hätte ich hören müssen. In den Gemächern des Hauptmanns gab es keine Teppiche, die die Schritte eines Eindringlings hätten dämpfen können. Dort ist niemand.
    Sie bewegte sich vorwärts, diesmal entschlossener – und blieb wieder stehen. Sie fühlte sich noch immer beobachtet. Sie streckte bereits die Hand zur Türklinke aus, als die Erkenntnis wie eine eisige Hand nach ihrem Nacken griff. Nicht die Tür! Sie fuhr zum Fenster herum. Da war nichts, nicht der geringste Lichtschimmer. Catherine starrte hinaus, bis ihre Augen brannten. War da eine Bewegung? Ein Schatten, schwarz wie die Finsternis, in der er sich verbarg? So hoch über dem Boden? Ohne einen Balkon oder Mauervorsprung in der Nähe? Unmöglich. Und doch wollte das Gefühl nicht weichen, dass ihr etwas aus der Nacht entgegenblickte.
    Nebel. Es musste Nebel sein, den sie gesehen hatte – ein ständiger Gast im Glen Beag, besonders jetzt im Spätherbst. Nichts Ungewöhnliches. Doch es gab keine Anzeichen für Nebel. Kein Dunst, kein grauer Schleier, der sich matt vom Schwarz der Nacht abhob. Ihre Finger krampften sich um den Schürhaken, dass es schmerzte. Unendlich langsam schob sie sich an das Fenster heran, obwohl alles in ihr danach schrie, sich abzuwenden und davonzulaufen. Dort ist nichts. Dort kann nichts sein!
    Sie würde sich mit eigenen Augen davon überzeugen. Ein weiterer Schritt, dann hatte sie das Fenster erreicht. Ihr Blick wanderte über die Scheibe, fing sich in einer Spiegelung ihres Gesichts und griff nach der dahinter liegenden Schwärze.
    »Catherine?«
    Das Wort packte sie und ließ sie herumfahren. Ihr Herzschlag raste und beruhigte sich nur allmählich, als sich Hauptmann Farrells Umrisse aus dem Dämmerlicht hinter ihr lösten. Als er den Schürhaken in ihrer Hand bemerkte, zog er seine Pistole. »Was ist?«
    Catherine deutete zum Fenster. »Dort ist jemand.«
    Der Hauptmann schob Catherine hinter sich und trat – die Waffe
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