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Vampirsohn

Titel: Vampirsohn
Autoren: J.R. Ward
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ob er sich von dort, wo er sich gerade noch befunden hatte, herüberteleportiert hätte. Er hielt sie vorsichtig in seinen Armen und nur so fest, wie unbedingt nötig. »Sie müssen essen.«
    Sie hielt sich weiterhin am Regal fest und nahm beiläufig zur Kenntnis, dass sie vor einer vollständigen Sammlung der Werke von George Eliot stand. Vielleicht war das der Grund dafür, dass er wie ein Mann aus der viktorianischen Zeit sprach. Er hatte wohl vorwiegend Bücher aus dem neunzehnten Jahrhundert gelesen.
    »Bitte«, flehte die schöne Stimme. »Sie müssen essen …«
    »Ich muss ins Bad.« Sie blickte quer durch den Raum zu dem mit Marmor gefliesten Abteil. »Sagen Sie mir, dass es dort auch eine Toilette gibt.«
    »Ja. Es gibt zwar keine Tür, aber ich werde meine Augen abwenden.«
    »Tun Sie das.«
    Claire machte sich von ihm frei und taumelte vorwärts, zu verstört, schwach und verängstigt, um sich
über ihre Intimsphäre wirklich Gedanken zu machen. Zudem hätte er sie schon längst mehrfach missbrauchen können, wenn er das gewollt hätte. Und außerdem ließ der Klang seiner Stimme auf ein ausgeprägtes Ehrgefühl schließen. Wenn er sagte, er würde nicht hinsehen, dann würde er das auch nicht tun.
    Es sei denn, … Himmel, sie war wirklich ein Idiot. Warum zum Teufel sollte sie jemandem vertrauen, den sie gar nicht kannte? Und mit dem sie zusammen eingesperrt war?
    Obwohl ihn vielleicht gerade das vertrauenswürdig machte. Denn offensichtlich saß er ja auch hier fest.
    Es sei denn, er hatte gelogen.
    Das Bad war vom Boden bis zur Decke mit cremefarbenem Marmor gefliest und verfügte über eine altmodische Badewanne mit Klauenfüßen und einen frei stehenden Waschtisch. Erst als sie die Spülung betätigt hatte und zum Waschbecken ging, bemerkte sie, dass es keinen Spiegel gab.
    Sie wusch sich Hände und Gesicht und trocknete sich mit einem der weißen Handtücher ab, die auf einem Stapel bereitlagen. Dann hielt sie die Hände erneut unter den Wasserstrahl und trank aus der hohlen Hand. Ihr Magen beruhigte sich ein wenig, und sie hätte gewettet, dass etwas Essen noch mehr helfen würde. Aber sie würde keinen Bissen anrühren. Sie war in diesem Anwesen schon einmal auf eine Tasse Tee hereingefallen, und wohin hatte sie das geführt? Als sie wieder ins Schlafzimmer zurückkehrte, starrte sie in die abgedunkelte Ecke. »Ich will Ihr Gesicht sehen. Und zwar jetzt.«
    Darin lag kein zusätzliches Risiko. Sie wusste ja bereits,
dass sie sich auf dem Leeds-Anwesen befand, und wer er war – Ms Leeds’ Sohn. Claire kannte schon genügend Details. Falls der Plan lautete, Claire umzubringen, damit diese ihre Entführer nicht mehr identifizieren konnte, gab es bereits ausreichend Gründe dafür.
    »Zeigen Sie mir Ihr Gesicht. Sofort.«
    Es folgte langes Schweigen. Dann hörte sie die Ketten rasseln, und er trat ins Licht.
    Claire rang nach Luft und schlug dann die Hand vor den Mund. Er war so schön wie seine Stimme, so schön wie sein Duft, so schön wie ein Engel … und er sah keinen Tag älter aus als dreißig.
    Seine fast zwei Meter hohe Gestalt war in eine rote Seidenrobe gehüllt, die bis zum Boden reichte und von einer bestickten Schärpe zusammengehalten wurde. Sein Haar war schwarz wie die Nacht und aus dem Gesicht gekämmt. Es hing in lockeren Wellen hinab bis … Lieber Himmel, wahrscheinlich bis zu seiner Taille. Und sein Gesicht … Es war so perfekt, dass es ihr den Atem nahm: das markante Kinn, die vollen Lippen und die gerade Nase – der Inbegriff männlicher Schönheit.
    Seine Augen konnte sie allerdings nicht sehen, denn er hielt sie niedergeschlagen, auf den Boden gerichtet.
    »Oh … oh mein Gott«, flüsterte sie. »Sie können unmöglich echt sein.«
    Er zog sich wieder in den Schatten zurück. »Bitte, essen Sie. Ich muss … schon bald wieder zu Ihnen kommen. Sehr bald.«
    Claire stellte sich vor, wie er sie biss … an ihrem
Hals saugte … schluckte, was durch ihre Venen floss. Und musste sich selbst daran erinnern, dass sie dazu genötigt wurde. Dass sie gegen ihren Willen gefangen gehalten und gebissen wurde … von einem Monster.
    Sie blickte nach unten. Ein Teil der Kette, die er mit sich herumschleppte, lag immer noch im Licht. Das Ding war so dick wie ihr Handgelenk, und sie vermutete, dass es an seinem Knöchel festgemacht war.
    Er war definitiv ein Gefangener, genau wie sie selbst. »Warum sind Sie hier unten eingekerkert?«
    »Ich bin eine Gefahr für andere. Essen Sie jetzt.
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