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Vampirsohn

Titel: Vampirsohn
Autoren: J.R. Ward
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Ich bitte Sie.«
    »Wer hält Sie hier fest?«
    Darauf gab er keine Antwort. Dann sagte er: »Das Essen. Sie müssen etwas essen.«
    »Tut mir leid. Aber ich werde das Zeug nicht anrühren.«
    »Niemand hat sich daran zu schaffen gemacht.«
    »Das dachte ich auch über den Earl Grey Ihrer Mutter.«
    Die Ketten rasselten, als er wieder zurück ins Licht trat.
    Ja, sie waren an seinem Fußgelenk befestigt. Am linken.
    Er ging durch das Zimmer. Dabei hielt er möglichst viel Abstand zu ihr und sah sie nicht an. Sein Schritt war grazil und geschmeidig wie der eines Tieres, und seine Schultern wippten, während seine Beine ihn über den Steinboden trugen. Die Kraft in ihm war … beängstigend. Und erotisch. Und traurig zugleich.
    Er war wie ein prachtvolles Raubtier in einem Käfig.
    Der Gefangene setzte sich an die Stelle, an der
sie zuvor gelegen hatte, und griff nach dem Silbertablett mit dem Essen. Er nahm die Wärmeglocke vom Teller und legte sie zur Seite. Claire roch den wundervollen Duft von Rosmarin und Zitronen. Er faltete eine Damastserviette auseinander, nahm eine schwere silberne Gabel zur Hand und probierte das Lamm, den Reis und die grünen Bohnen. Dann wischte er sich mit dem Damast über den Mund, reinigte damit die Gabel und setzte die Wärmeglocke wieder auf den Teller.
    Dann legte er seine Hände auf die Knie, den Kopf nach unten geneigt. Sein Haar war herrlich. Voll und glänzend ergoss es sich über seine Schultern. Die gelockten Enden berührten knapp die Samtdecke und seine Hüften. Genau genommen waren die Locken zweifarbig: weinrot und tiefschwarz, nahezu blauschwarz.
    Eine solche Farbkombination hatte sie noch nie zuvor gesehen. Zumindest nicht als natürliche Haarfarbe. Und sie war sich verdammt sicher, dass seine dämonische Mutter ihm nicht jeden Monat einen Friseur vorbeischickte, um ihm Strähnchen färben zu lassen.
    »Wir werden abwarten«, sagte er. »Und Sie werden sehen, dass sich niemand am Essen zu schaffen gemacht hat.«
    Sie starrte ihn an. Obwohl er so riesig war, wirkte er ruhig und zurückhaltend und bescheiden. Sie hatte keine Angst vor ihm. Der logisch denkende Teil ihres Gehirns erinnerte sie natürlich daran, dass sie eigentlich große Furcht haben sollte. Aber dann dachte sie daran, wie er sie festgehalten hatte, ohne
ihr wehzutun, als sie zum ersten Mal aufgewacht war. Und daran, dass auch er vor ihr Angst zu haben schien.
    Aber dann fiel ihr Blick auf die Kette, und sie befahl ihren grauen Zellen, in die Gänge zu kommen. Das Ding war sicher nicht ohne Grund an seinem Knöchel befestigt.
    »Wie ist Ihr Name?«, fragte sie.
    Er zog die Augenbrauen zusammen.
    Gott, das Licht, das sein Gesicht erhellte, verlieh ihm etwas absolut Ätherisches, obwohl sein Knochenbau überaus männlich war.
    »Sagen Sie schon.«
    »Ich habe keinen«, meinte er.
    »Was soll das heißen, Sie haben keinen Namen? Wie werden Sie genannt?«
    »Fletcher spricht mich nicht auf diese Weise an. Und Mutter nannte mich früher Sohn. Ich schätze, das ist mein Name: Sohn.«
    »Sohn.«
    Er rieb sich mit den Händen über die Schenkel, so dass die rote Seide seines Morgenrocks auf- und abwanderte.
    »Wie lange sind Sie schon hier unten?«
    »Welches Jahr haben wir?« Als sie es ihm sagte, antwortete er: »Fünfundsechzig Jahre.«
    Sie hielt den Atem an. »Sie sind fünfundsechzig?«
    »Nein. Ich wurde hier heruntergebracht, als ich zwölf war.«
    »Du lieber Himmel …« Okay, offensichtlich hatten sie unterschiedliche Lebenserwartungen. »Warum wurden Sie in diese Zelle gesperrt?«

    »Meine Veranlagung begann, sich durchzusetzen. Mutter meinte, es wäre so für alle sicherer.«
    »Und Sie waren die ganze Zeit hier unten?« Da musste er doch wahnsinnig geworden sein, dachte sie. Sie konnte sich nicht vorstellen, jahrzehntelang alleine zu sein. Kein Wunder, dass er ihr nicht in die Augen blicken konnte. Er war es nicht gewohnt, mit anderen zu interagieren. »Sie waren ganz alleine hier unten?«
    »Ich habe meine Bücher. Und meine Illustrationen. Ich bin nicht allein. Außerdem bin ich hier unten vor der Sonne geschützt.«
    Claires Stimme wurde eisern, als sie sich daran erinnerte, wie die liebe alte Ms Leeds sie betäubt und dann zu ihm in diese Zelle verfrachtet hatte.
    »Wie oft bringt sie Ihnen Frauen?«
    »Einmal im Jahr.«
    »Was, als eine Art Geburtstagsgeschenk?«
    »Länger kann ich es nicht aushalten. Sonst wird mein Hunger zu groß. Wenn ich zu lange warte, werde ich … schwierig im Umgang.«
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