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Vampire's Kiss

Vampire's Kiss

Titel: Vampire's Kiss
Autoren: Veronica Wolff
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runzelte die Stirn. Wenn er versuchte, mich von meinen Sorgen abzulenken, dann gelang ihm das bisher ganz gut. »Ich bin stärker, als es den Anschein hat.«
    »Für mich bist du noch ganz neu auf der Welt.« Das Funkeln in seinen Augen verriet mir, dass sein Einwand nicht ganz ernst gemeint war.
    Leider kehrten die düsteren Gedanken schnell wieder zurück. Ich folgte ihm zum Ufer, setzte mich in den Sand und kämpfte gegen das Gefühl des Versagens an, das mich zu verschlingen drohte. Ich legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und sehnte mich verzweifelt nach etwas Wärme auf der Haut. Aber die Sonne war Millionen Meilen entfernt. »Schon verstanden, allerbester Daddy.«
    Der Himmel hatte ein wenig aufgeklart, und wässriges Licht bahnte sich einen Weg durch die Wolken. Es hätte mich eigentlich auf meiner Flucht begleiten sollen, auf meinem Segeltörn zum fernen Horizont.
    Carden hatte ein Boot. Und seit dieser Bund-Geschichte gehörten wir irgendwie zusammen. Also hatten wir ein Boot.
    Noch war die Flucht eine von mehreren Möglichkeiten.
    Warum hockte ich also am Strand herum? Dieser McCloud war bestimmt für alles zu haben. Und für mich stand fest, dass ihn die Rückkehr zur Insel der Nacht nicht gerade mit wilder Begeisterung erfüllte. Er wäre sogar lieber in seiner Zelle gestorben, als sich von Alcántara retten zu lassen. Blieb er jetzt nur bei mir, weil ihn dieser Bund dazu verpflichtete?
    Plötzlich wurde mir klar, dass mich mehr an seiner Seite ausharren ließ als der Bund, den ich unwissentlich mit ihm geschlossen hatte. Die Entdeckung, dass es noch mehr Vampire gab – eine globale Gemeinschaft –, warf ein anderes Licht auf diese neue Welt, in der ich gestrandet war. Aber sie warf mehr Fragen auf, als sie Lösungen bereithielt.
    Gab es andere, die sich so sehr danach sehnten, die Inseln zu verlassen, dass sie dafür den Tod in Kauf nahmen? Würde bei meinen Freunden, ja selbst bei den Vampir-Anwärtern, irgendwann der Wunsch nach einer Flucht übermächtig werden? Und genau diese Überlegungen waren es, die mich hier am Strand festhielten, den Blick nach Eyja næturinnar gerichtet.
    Ich musste zurück. Ich musste die Sache durchziehen.
    Der Rektor hatte uns bei unserer Ankunft erklärt, es sei das Ziel der Wächter, zu schützen, zu verteidigen und mitunter zu töten. Musste ich zurückkehren und eines Tages diesem Motto gerecht werden?
    Ich dachte an meine Freunde – die ersten und einzigen Verbündeten, die ich auf der Welt hatte. Emma und Yasuo. Ronan, Amanda, Judge, sogar Josh … Ganz plötzlich hegte ich die Befürchtung, dass ich sie im Kampf gegen eine böse Macht, die sich erst noch enthüllen würde, unterstützen musste.
    Ich hörte das Knirschen von Sand und ein schwaches Spritzen, als Carden das Boot ins seichte Wasser schob. Er wischte sich die Hände ab, und dann herrschte Stille.
    Als ich die Augen aufschlug, sah ich, dass er mich anstarrte. Sein durchdringender Blick ließ mich an unseren Kuss denken, der sich tief in meine Erinnerung eingebrannt hatte. Für ihn war dieser Kuss kein Verlangen nach mir, sondern nur eine Begleiterscheinung des Bluttrinkens gewesen. Ich hatte endlich meinen ersten Kuss erlebt, doch er war nicht mehr als die biologische Funktion eines Fremden.
    Deshalb kam ich mir bei seinem forschenden Blick im hellen Tageslicht irgendwie nackt vor. »Was gibt es?«, fragte ich.
    »Dein Haar – es ist wie Sonnenschein.«
    Ich kriegte den Mund nicht mehr zu. Das Kompliment – falls es eines war – kam für mich völlig unerwartet. »Wie bitte?«
    »Ich war so viele Jahre ohne Sonnenschein«, sagte er ernst. »Ich habe mich so sehr danach gesehnt.«
    Die Feststellung deutete mehrere Dinge an, die ich alle nicht verstand. Das höhlte mich aus, machte mich verwundbarer, als ich je in der Kampfarena gewesen war. Erst nach einer Weile fand ich die Sprache wieder. »Das ist Bund-Geschwätz, oder?«
    Mein offensichtliches Unbehagen schien ihm Spaß zu machen, denn er grinste breit. »Wahrscheinlich. Aber wenn ich schon einen Bund erleiden muss, dann will ich auch seine Vorzüge genießen.«
    »Erleiden? Ohne mich wärst du jetzt tot. Und ohne diesen Bund hätte ich …« Ich verstummte und mahnte mich zur Vorsicht. Hatte mich die Nähe zu Carden etwa so leichtsinnig gemacht, dass ich eben im Begriff gewesen war, meine Fluchtpläne auszuplaudern?
    Er zog eine Augenbraue hoch. »Hättest du was …?« Sein wissender Blick sagte mir, dass er die Wahrheit erriet
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