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Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)

Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)

Titel: Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
Autoren: Marc Fitten
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irgendwie kriegten ihn dann die Sowjets.«
    »Die Sowjets?«
    »Es war schrecklich. Sie schickten ihn mit Polen, Tschechen und Deutschen in einen Gulag. Der arme pfeifende Metzger litt entsetzlich und kam nie mehr zurück.«
    »Stellt euch vor, fettige Suppe schlürfen und sich umBrotkrusten schlagen zu müssen, wenn man von Kindesbeinen an immer nur feinstes Fleisch gegessen hat«, sagte einer von den Älteren.
    »Dieselben Gefangenen haben nach dem Krieg die Bahngleise repariert.«
    »Nur, weil er sie nicht heiraten wollte.«
    »Ich hab gehört, weil er ihren Großvater in der alten Kneipe umgebracht hat.«
    »Nein, nein, das stimmt beides nicht. Ihr Großvater bekam Wind von ihrer Affäre und wurde wütend. Er ging zum Metzger und bestand darauf, dass die beiden heirateten. Der Metzger war einverstanden, aber sein Sohn wollte nicht. Er sah gut aus und prahlte die ganze Zeit. Das weiß ich noch. Schließlich hat ihn Valerias Großvater zur Rede gestellt. Er bebte vor Wut und versetzte dem Metzgersohn einen Stoß. Der Metzgersohn wehrte sich und der alte Mann bekam mitten in der Kneipe einen Herzinfarkt.«
    Die Männer verstummten und schüttelten die Köpfe. Sie lauschten dem Wind, der in der Ferne über die Felder strich, und dachten an den Metzgersohn.
    »Zwangsarbeit«, flüsterte jemand.
    »Er hat so gern diese verdammten italienischen Tarantellas getanzt, entsinnt ihr euch noch?«, sagte ein anderer.
    »Genau besehen ist es ihm wahrscheinlich recht geschehen.«
    Die Männer dachten an die Zwangsarbeit: Schienen verlegen und Löcher graben und Telefonmasten aufstellen, selbst im Winter, wenn der Boden hart war und der Wind kalt und die Männer in der kalten Sonne froren. All diese mörderischen Arbeiten wurden mit der Hand verrichtet, mit Hämmern und Schaufeln und Äxten; und wenn die kaputtgingen, mit Löffeln, Stöcken und den Fingern. Und währenddessen stand Mütterchen Russland dauernd mitschussbereitem Gewehr hinter ihnen: Genossen! Ihr lernt schon noch, was unsere Revolution wert ist.
    Valeria hatte ihren eigenen jungen Liebhaber, einen Jungen aus dem Dorf, der ungastlichen Obhut der Russen unterstellt und ihn in ein Arbeitslager geschickt, weit fort, nach draußen. Und als der junge Mann fort war und ihr Großvater tot und sie sich verabreden konnte, mit wem sie wollte, gab es keinen Mann oder Metzger mehr im Dorf, der zu ihr gekommen wäre oder den sie sich selbst ausgesucht hätte, ihr einst guter Ruf war dahin. Da schnitt sie die Kirchenglocken ab und besiegelte so ihr Schicksal als Geächtete des Dorfes.
    »Schade um eine solche Frau«, murmelten die alten Männer.
    »Komm, Opa. Jetzt vergisst du dich.«
    Die Großväter schüttelten die Köpfe. »Ihr hört nicht zu. Ich rede nicht über heute. Ich rede über die vierziger Jahre, als sie noch nicht verbittert war, als sie noch klar im Kopf war und die Glocken noch hingen. Sie war immer auf den Feldern und hütete ihre Schafe   … und die Schweine. Entsinnt ihr euch noch an die Schweine? Bevor ihr Großvater starb?«
    Ein anderer alter Mann blickte auf und nickte.
    »Wisst ihr noch, wie großartig die geschmeckt haben? Wie frisch? Nirgendwo anders gab es Dorfschweine, die so frisch geschmeckt haben. Ich weiß nicht, warum. Jeden Oktober ist eines gebraten worden, und wir haben das Fett auf unser Brot tropfen lassen. Das ganze Dorf ist zum Feld ihres Großvaters hinausgegangen, bis zu den Stufen des Häuschens. Wir haben die Haut gebraten und gewürzt und dann dort draußen geschmaust, wo sie heute noch wohnt. Ah, dieses Brot damals, mit dem flüssigen Schweineschmalz. Wisst ihr das nicht mehr? Erinnert ihr euch nicht mehr an das Fett? Und an Valeria damals?«
    »Das haben wir jedes Jahr gemacht, bis ihr Großvater starb. Als er noch am Leben war, hat er dem Dorf eine Menge Ärger erspart. Als die Briten auftauchten, verkaufte er alle Schweine an sie. Zwei Tage lang haben sie die Schweine weggebracht. Entsinnt ihr euch? Aber als er gestorben war, mussten wir uns unser Fett selber suchen. Sie hat nichts mit uns geteilt.«
    Die jungen Männer zuckten die Schultern.
    »Sie ist eine Hexe, und Ihr seid verrückt.«
    »Ich bin nicht verrückt. Ich hätte um ihre Hand anhalten sollen. Der Metzgersohn war wirklich ein schrecklicher Mensch, mit seinen gottverdammten Tarantellas. Ein erwachsener Mann. Wer konnte so einem trauen? Vielleicht hätte ich ihr einen Heiratsantrag machen sollen. Im Bett wäre sie besser gewesen als deine Großmutter, so viel ist
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