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Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)

Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)

Titel: Valerias letztes Gefecht: Roman (German Edition)
Autoren: Marc Fitten
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Valeria nicht mochten, gestanden sie ihr zu, dass sie sich auskannte. Jeden Morgen wusste jeder auf dem Markt sofort, wer verdorbene Ware verkaufte.
    Nur selten sah Valeria Obst oder Gemüse, das von besserer Qualität war als ihr eigenes. Auch dann sah sie die Marktfrau scharf an, nickte anerkennend und fragte sie: »Wie heißen Ihre Eltern?« Die Marktfrau nannte ihr dieNamen und Valeria nickte wieder und kramte in ihrem Gedächtnis. Dann gratulierte sie der Marktfrau, kaufte das Gemüse, nahm es mit nach Hause und untersuchte es. Wenn sie konnte, hob sie die Samen auf und kreuzte ihr eigenes fast perfektes Gemüse damit.
    Bei Fisch und Fleisch kannte sich Valeria genauso gut aus. Keine Marktfrau war vor ihr sicher. Wenn Valeria vorbeikam, versteckten selbst die Gewürzhändlerinnen sicherheitshalber alle Gewürzmischungen, die schon älter waren. Seit sich das Land dem Westen geöffnet hatte, gab es sogar in Zivatar neue Obst- und Gemüsesorten. Zwischen den Kartoffelbrauntönen und Spinatgrüns, die bisher zu sehen gewesen waren, leuchteten jetzt wie Weihnachtslichter Orange- und Rottöne. In den berauschenden ersten Tagen des Kapitalismus, als exotische Früchte noch etwas Neues waren, kamen Leute, die sonst fast nie auf den Markt gingen, nur um sich die Ananas anzusehen. Valeria interessierte sich nicht für ausländisches Obst und Gemüse, vor allem weil sie es nicht selbst anbauen konnte, aber auch, weil es ihr zu sinnlich war. Tropische Früchte barsten beinah vor Fruchtfleisch und Saft. Sie waren klebrig und hemmungslos. Die erste Banane, die Valeria in der Hand hielt, empfand sie als Beleidigung.
    »Wie können Sie so scheußliche Dinger auf dem Markt verkaufen?«, fragte sie.
    »Das ist eine Banane, Valeria, das wissen Sie doch. Probieren Sie mal.«
    Valeria warf einen kurzen Blick darauf und schüttelte den Kopf.
    »Die probier ich nicht. Das ist was für Affen.«
    »Nein. Der Bürgermeister kauft dauernd welche. Sie schmecken gut. Hier, probieren Sie mal.«
    Valeria nahm einen Bissen und musste zugeben, dass sie gut war. Doch tropische Früchte brachten sie durcheinander.Abgesehen von einer gelegentlichen Banane ließ sie die Finger davon. Außerdem waren sie unglaublich teuer. Nur die jungen Kapitalisten konnten sie sich leisten. Zur Vorliebe des Bürgermeisters für Bananen kam, wie Valeria beobachten konnte, dass seine Braut immer säckeweise Orangen kaufte. Unmengen. Das war Protzerei. In der guten alten Zeit teilte sich eine Familie an Weihnachten eine Orange. Eine einzige Orange war ein Festschmaus. Valeria war sicher, dass es in den meisten Familien immer noch so war. Wie lange brauchte eine steckendürre Frau, um einen Sack Orangen zu essen, fragte sich Valeria. Und wieso erlaubte der Bürgermeister seiner Frau, mit mehr Make-up als Kleidern am Leib aus dem Haus zu gehen? Eine Frau mit glitschigem Mund, langen Beinen und Hüften, die kaum der Rede wert waren, trug einen Sack teurer Valencia Orangen   … wie weit war es auf der Welt gekommen?
    Selbst amerikanisches Gemüse war verdächtig. Valeria untersuchte das Gemüse aus Amerika gründlich. Auf der Kiste stand: Rote Paprika aus Kalifornien. Sie kaufte eine Paprika, nur um zu sehen, wie amerikanische schmeckten. Besonders angetan war sie nicht davon. Die Paprikaschote sah zwar gut aus, sie war groß und sauber, ohne Flecken und kam bestimmt aus einem Treibhaus; doch als sie zu Hause einen Eintopf damit kochte, war sie von ihrem faden Geschmack enttäuscht – keinerlei Schärfe, nichts als Stickstoff.
    Manchmal hatte Valeria zu viel Gemüse im Garten. Dann ging sie noch früher auf den Markt, baute einen eigenen Stand auf, ordnete ihre Gemüsesorten nach Farben und verkaufte sie zu einem hohen, aber angemessenen Preis. Sie verkaufte immer alles. Obwohl die Dorfbewohner Valeria nicht mochten, zweifelten sie nicht an der Qualität ihrer Ware. Ihr Obst und Gemüse war nie zu weich, nie angefault und roch niemals nach Katzenurin.
    Valeria zog es auf ihren zwei Hektar Land. Das waren dreihundert Hektar weniger, als ihr Großvater besessen hatte, bevor die Kommunisten ihm alles wegnahmen. Doch das Land reichte aus, um sie durch den Winter zu bringen und ihr Vieh zu ernähren. Alles, was darüber hinausging, war ihr Gewinn. Valeria fand, dass sie sich ihren Sarkasmus leisten konnte. Und sarkastisch war sie oft.
    Aber als sie eines Tages gerade die braunen Stellen auf den Gurken einer jungen Frau untersuchte, blickte sie aus irgendeinem Grund auf.
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