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Urbi et Orbi

Urbi et Orbi

Titel: Urbi et Orbi
Autoren: berry
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seit seiner Priesterweihe hatte es nur diesen einen Bruch seiner Gelübde gegeben. Michener hatte daran gedacht, das Priesteramt niederzulegen, doch Clemens hatte es ihm ausgeredet. Eine Seele müsse durch ihre Schwächen hindurchgehen, um zu ihrer Kraft zu finden, hatte er erklärt. Einfach davonzulaufen mache nichts besser. Jetzt, nach über einem Dutzend Jahren, gab Michener Jakob Volkner Recht: E r war der päpstliche Privatsekretär. Seit beinahe drei Jahren half er Clemens XV. den bürokratischen Kirchenapparat mit seinen oft lächerlich eitlen Würdenträgern zu regieren. Dass Micheners Mitarbeit auf einer Verletzung seines Eides gegenüber Gott und der Kirche beruhte, schien Clemens nie zu stören. Diese Tatsache hatte Michener letzthin einigermaßen beunruhigt.
    »Ich habe nichts vergessen«, flüsterte er.
    Der Papst trat zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Trauern Sie dem Verlorenen nicht nach. Das ist ungesund und führt zu nichts.«
    »Das Lügen fällt mir nicht leicht.«
    »Ihr Gott hat Ihnen vergeben. Mehr brauchen Sie nicht.«
    »Wieso sind Sie da so sicher?«
    »Nun, ich bin mir sicher. Und wenn Sie dem unfehlbare n H aupt der katholischen Kirche nicht glauben können, wem dann?« Mit einem Lächeln, das diesen kleinen Scherz begleitete, ermahnte er Michener, die Dinge nicht ganz so ernst zu sehen.
    »Sie sind unmöglich«, erlaubte sich Michener lächelnd zu erwidern.
    Clemens zog die Hand zurück. »Stimmt, aber liebenswert. «
    »Ich werde mich bemühen, das nicht zu vergessen. «
    »Unbedingt. Mein Brief an Hochwürden Tibor ist gleich fertig. Ich werde um eine schriftliche Antwort bitten, aber falls er mit Ihnen sprechen will, hören Sie ihm zu, befragen Sie ihn nach Herzenslust, und berichten Sie mir alles. Haben Sie das verstanden?«
    Welche Fragen konnte Michener dem Mann wohl stellen, wenn er nicht einmal wusste, worum es bei dem Besuch ging? Doch statt weiter nachzuhaken, sagte er nur: »Ich habe verstanden, Euer Heiligkeit. Wie immer. «
    Clemens lächelte. »Das ist gut so, Colin. Wie immer.«
    3
    11.00 Uhr
     
    M ichener betrat den Verhandlungssaal. Es war ein hoher, weiter Raum aus weißem und grauem Marmor mit einem farbigen geometrischen Mosaik, das vierhundert Jahre Kirchengeschichte miterlebt hatte.
    Zwei Schweizergardisten in Zivil bewachten die Bronzetüren und verbeugten sich, als sie den Privatsekretär des Papstes erkannten. Michener hatte vor seinem Kommen absichtlic h n och eine Stunde verstreichen lassen. Er wusste, dass seine Anwesenheit Gesprächsstoff abgeben würde – nur selten wohnte ein so enger Vertrauter des Papstes den Verhandlungen bei.
    Auf Clemens ’ Bitte hin hatte Michener alle drei Bücher Kealys gelesen und das Kirchenoberhaupt über die darin enthaltenen Provokationen unterrichtet. Clemens selbst hatte sie nicht gelesen, da ein solcher Akt Anlass für zu viele Spekulationen geliefert hätte. Der Papst hatte jedoch ein lebhaftes Interesse an Thomas Kealys Schriften gezeigt. Als Michener sich jetzt auf einen der hinteren Sitze des Saals niederließ, sah er den Autor zum ersten Mal.
    Der Angeklagte saß allein an einem Tisch. Er wirkte wie Mitte dreißig, hatte dichtes, kastanienbraunes Haar und ein sympathisches, jungenhaftes Gesicht. Das Lächeln, das hin und wieder darin aufblitzte, wirkte berechnet – Kealy schien absichtlich einen auf Spaßvogel zu machen. Michener hatte alle Hintergrundberichte gelesen, die der Gerichtshof hatte anfertigen lassen, und in jedem wurde Kealy als blasiert und unangepasst dargestellt. Offensichtlich einer, der in die Medien will, hatte einer der Ermittler geschrieben. Dennoch konnte Michener sich des Gedankens nicht erwehren, dass Kealys Argumente in vieler Hinsicht überzeugend klangen.
    Kealy wurde von Kardinalstaatssekretär Alberto Valendrea befragt, und Michener beneidete den Angeklagten nicht um seine Lage. Kealy hatte harte Richter erwischt. Michener hielt jeden der versammelten Prälaten für einen strammen Konservativen. Keiner von ihnen befürwortete das Zweite Vatikanische Konzil, und ebenso gehörte kein Einziger zu Clemens’ XV. Anhängern. Insbesondere Valendrea war für seinen radikalen Dogmatismus bekannt. Die Mitglieder des Gerichtshofs steckten im vollen Ornat, die Kardinäle waren in purpurn e S eide, die Bischöfe in schwarze Wolle gekleidet. Alle saßen hinter einem geschwungenen Marmortisch unter einem Gemälde Raphaels.
    »Kein Mensch ist Gott ferner als der Häretiker«, sagte
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